Reiner P.: “Ich habe es anders gemacht”

eingestellt am 08.02.2020 von Philine Schlick, Headerbild: "Ich nehme mir jetzt Zeit für mich" - Reiner P.. Foto: Philine Schlick

Von der Wohnung Reiner P.’s, kann man zeitweise den Jahreslauf der Sonne über die Stadt verfolgen. Das Memento-Gespräch mit Reiner ist wie ein historischer Beitrag im Kulturradio: Besonnen, informativ und ausgewogen. Der Bericht eines Johannstädters, der getragen durch Familie und Kirche, durch alle Lebenswehen unerschütterlicher Humanist und Demokrat geblieben ist. 

“Es ist nicht alles ein Erfolg”

Wir haben ja damals sehr lange gearbeitet, sogar noch sonnabends, das habe ich noch erlebt. Also 48 Stunden in der Woche. Und dann in meinem späteren Berufsleben 45, 40 Stunden – und dann nachmittags mal einen Kaffee, das war wohltuend. […] In den letzten Jahren bin ich wenig zum Lesen gekommen, weil ich durch die Pflege meiner Frau sehr eingespannt war. […]

Und da ist eben auch das Lesen zu kurz gekommen und viele andere Wünsche auch. Aber ich habe gehört, dass es Aktivitäten in Johannstadt gibt und sich Menschen bemühen und sich fragen: Wie wollen wir denn diesen Stadtteil mitgestalten? Es fehlt an so vielem, um Leben lohnend zu gestalten und dass es nicht nur einfach geschieht.

Wir haben viele freie Flächen, die gerade zugebaut werden. Es ist nicht alles ein Erfolg. Häuser die Dächer wie Turnhallen haben mit Wellblech … Und am Güntzplatz, habe ich gesehen, ist ein großes Areal entstanden – das ist mir schon zu hoch, zu eng. Die Luft, das Licht gehen verloren. Die große Fläche, wo das Plattenwerk gewesen ist – ich bin gespannt, was da wird. Ich hoffe, es wird nicht zugeklotzt. […]

Ich bin zugereister Johannstädter. Ich bin geboren in Berlin 1940 und kann mich an die Bombenangriffe als Vierjähriger noch erinnern. Meine Mutter musste dann mit uns Kindern Berlin verlassen, Vater war im Krieg, und da sind wir nach Thale im Harz gekommen, wo meine Mutter Geschwister hatte. Wir wollten dann nach dem Krieg nach Berlin zurück, aber das ging nicht, es war dann alles kaputt oder mittlerweile anders genutzt und da sind wir im Harz hängen geblieben. So bin ich in Thale aufgewachsen, habe in Quedlinburg gelernt, in Leipzig und Jena studiert und bin nach dem Studium als junger Ingenieur nach Dresden gekommen, das war ein Wunsch. Und das habe ich auch geschafft.

“Gast für die Dauer des Arbeitsverhältnisses”

Habe dann hier in der Fotoindustrie angefangen, das hat mir gefallen und hier wollte ich bleiben. Ich muss zugeben, dass ich nach dem Studienabschluss gar nicht wusste, was ich wirklich damit anfangen kann. In der Fotoindustrie hatte ich die Chance, mich in dem Betrieb mal ein Vierteljahr umzusehen. Was würde man heute sagen? Volontär, Assistent, Praktikant?

Und nach diesem Vierteljahr, in dem ich von der Marktforschung angefangen, bis zu Entwicklung, Konstruktion, Musterbau,bis zum Einleiten der Produktion, bis zum Versand, Marktstrategien alles mal kennengelernt hatte, da war eine Abteilung, die hat Ausrüstungen für die eigene Industrie hergestellt. Also Maschinen, Anlagen, damit die Fotoindustrie funktioniert und rationell arbeiten kann. Das wollte ich machen!

Reiner P. erklärt die Geschichte seiner Familie. Foto: Philine Schlick

Es wurden Maschinen, Geräte und Ausrüstungen erdacht, als Bedarf empfunden und entwickelt und wir hatten die Aufgabe, das zu konstruieren, zu entwickeln, zu erfinden, wenn man so wollte. Das waren alles Unikate. Dinge, die einmal gebaut wurden und wir haben uns das ausgedacht und das hat mir großen Spaß gemacht! Das habe ich fast 30 Jahre gemacht. So bin ich in Dresden hängengeblieben und hatte eine Arbeitserlaubnis für die Dauer des Aufenthalts. Das gab es also zu DDR-Zeiten auch schon. Und das konnte ich mal umwandeln bei einer Wahlveranstaltung.

Da wurde Werbung gemacht, wie gut es uns hier geht. Damals hatte ich noch eine Berechtigungskarte, bei einem bestimmten Fleischer einzukaufen. […] Als ich gefragt wurde, wie es mir als jungem Ingenieur in Dresden gefällt, habe ich gesagt: „Ich kann hier eigentlich gar nichts dazu sagen, ich bin hier bloß Gast für die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ich gehöre hier gar nicht richtig dazu.“ Was? Das kann doch nicht sein! – Und genau das wollte ich eigentlich. Da wurde das dann gestrichen und dann hatte ich eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung.

Ein Zimmer für mich

Ich habe erst in einem verlassenen Kinderferienlager in Graupa gewohnt ein Vierteljahr. Bin dann von Graupa nach Striesen gefahren mit Fußweg, Bus, Bahn und Fähre – eine gute Stunde ein Arbeitsweg und das Ganze abends wieder zurück. Abends mal Kino oder Theater das ging eigentlich nicht. Dann hatte ich ein Untermietzimmer bei einer liebenswerten alten Dame. Nachdem ich die ganze Wohnung vorgerichtet hatte, auch ihre Zimmer natürlich, nach einem Jahr war sie gestorben.

Nicht wegen des Vorrichtens – sie war also glücklich, dass ich gekommen bin. Man konnte abends mal ein Wort reden, zum Sonnabend hat sie mir ein Mittagessen gemacht, das war ja ganz liebenswürdig. Ja, aber aus der frisch gemachten Wohnung musste ich ausziehen und kam in eine Wohnung als dritte Partei, Hauptmieter mit drei Kindern, ein Untermieter und ich. Fünfzimmerwohnung in Striesen, Ermelstraße […].

Reiner P. nutzt nicht nur Notizzettel, sondern Smartphone, Tablet und PC. Foto: Philine Schlick

Die Untermieter hatten jeweils ein Zimmer und mit dem Hauptmieter gemeinsame Toilette und Bad. Das Bad war schon ein großer Fortschritt, denn von Thale her kannte ich nur den Dreifuß mit der Schüssel. Wie das eben so war, in den 40er und 50er Jahren. Es kam dann schon einmal vor, wenn ich den Badeofen geheizt hatte und dann rein kam, und die Wirtin hatte ihre drei Kinder gebadet, da war das Warmwasser wieder alle. So war das eben. Aber da hatte ich schonmal ein Zimmer für mich.

Dresden ist meine Wunschheimat

1965 habe ich ein zweites Studium als Weiterbildung angefangen in Jena, Fernstudium, berufsbegleitend. Ich habe eine Freundin, wir kannten uns schon eine ganze Weile, haben uns immer mal einen Brief geschrieben, uns mal durch einen Zufall in einem Urlaub getroffen … Dann traf ich sie öfter wieder. Es war eigentlich auch ein Grund, nach Jena zu kommen, um sie wieder öfter zu treffen. Ja. Wir sind enger zueinander gekommen […] und haben geheiratet.

Jetzt sind wir seit über 53 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder, eine Tochter-Familie in Dresden mit drei Kindern. Die drei Enkel sind 25, 27 und 30. Und die Sohn-Familie in Stuttgart mit zwei Kindern – ein Schulanfänger und ein Kleinkind. Wir sind in Dresden geblieben. Es ist meine Wahl- und Wunschheimat.

Rainer Pfaff besucht seine Frau täglich. Zu Weihnachten "entführte" er sie aus dem Pflegeheim in die Kreuzkirche. Das Motto: So normal weitermachen wie bisher. Foto: Philine Schlick
Sylvester verbrachte das Ehepaar in der Kreuzkirche. Das Motto: So normal weitermachen wie bisher. Foto: Philine Schlick

Nachdem wir dann zwei Kinder hatten, haben wir in Johannstadt eine Wohnung bekommen, in der Hertelstraße. Aus meinem Untermietzimmer, in das ich alleine eingezogen war, sind wir zu viert ausgezogen. Davon habe ich noch einen Film, einen Fünf-Sechs-Minuten-Film, so habe ich die damaligen Verhältnisse mal festgehalten.

In der Hertelstraße hatten wir dann eine Wohnung für uns, wo wir die Tür hinter uns zumachen konnten. Das war Weihnachten 1968. Da haben wir fast 30 Jahre drin gewohnt. Als die Kinder dann raus waren und die Platten schon zwanzig Jahre standen, da haben wir gesagt, jetzt können wir mal was für uns tun und haben uns für diese Wohnung beworben. Wir hatten damals noch Ofenheizung in der Hertelstraße. […] Jetzt wohnen wir hier 25 Jahre.

Alles war geprägt von Zwängen

Wir sind in der Johannstadt natürlich auch aktiv gewesen. Wir sind hier gut aufgenommen worden. Ich war eine Legislaturperiode mit im Kirchvorstand. Wir haben einen Kleingarten hier gefunden. Der erste an den Elbwiesen, der ist mit der Flut dann untergegangen. Dann haben wir einen neuen gefunden, 800 Meter weiter. „Birkenhain“ gegenüber der Uniklinik, […] sodass wir hier ein Stück weit verwurzelt sind. Ich denke, wir sind in der Zwischenzeit nun auch „Johannstädter“.

Geboren wurde Reiner P. 1940 in Berlin. Nun ist er seit Jahrzehnten Johannstädter. Foto: Philine Schlick

Wir haben einen Freundeskreis, einen Hauskreis, der aus der Gemeinde hervor gegangen ist, wo wir uns immer mal treffen. Zu DDR-Zeiten war das etwas ganz wichtiges nicht nur für Glaubensfragen, sondern weil man im vertrauten Kreis auch mal Klartext reden konnte und nicht den öffentlichen oder offenen Zwängen der sozialistischen Lebensweise ausgesetzt war. Im Arbeitsleben war das ja typisch, dass die Lebensweise ein Stück weit vorgegeben war. Mit Brigadeleben, Veranstaltungen … Es waren auch schöne Sachen. Natürlich haben wir auch Wanderungen gemacht oder mal eine Kaffeerunde.

Aber es war immer geprägt von Zwängen. Maidemonstration, sich vom Kollektiv zu irgendwas bereit erklären. Gut waren Patenschaften mit Schulen. Es wurde aber immer ein Druck ausgeübt. Freie Entscheidung war so gut wie nicht möglich oder es schickte sich nicht. Man musste eben immer mit Konsequenzen rechnen. Ich habe auch nicht immer alles mitgemacht. So war ich auch nicht in der Partei. Man konnte das ablehnen, aber dann war klar: Pfaff, dann bleibst du Schütze Arsch. Und so war es dann auch.

Leben konnten wir. Warm, trocken, sicher, satt – das hatten wir auch. Aber mehr ging eben nicht. Meine Zeit kam später.

Ich wurde hier gebraucht

Ich habe dann später noch ein drittes Studium gemacht in Chemnitz, als die Computertechnik einzog und mir klar wurde, Konstruktion und Steuerungstechnik ohne Computer ist künftig nicht denkbar und habe mit 40 noch einen Fachabschluss gemacht. Das ist noch eine Spezialisierung: „Einfluss der Computertechnik in Konstruktion und Steuerungstechnik“, auch berufsbegleitend als Vater von zwei Kindern. Das habe ich auch geschafft und freue mich drüber. Viele haben gesagt: „Was setzt du dich als 40-Jähriger noch hin? Geh lieber in die Kneipe und gönn‘ dir was.“ Sie hatten auf ihre Weise auch Recht. Aber Menschen dieser Meinung haben später keinen Anschluss in der sich ändernden Gesellschaft gefunden und sind nicht wieder auf die Füße gekommen.

Ich habe neue Arbeit gefunden. Nicht in meinem Beruf, ich musste meinen Beruf leider auch verlassen, weil keine Wirtschaft da war, die mich hätte beschäftigen können, und bin dann als Quereinsteiger in die Verwaltung gegangen, öffentlicher Dienst. Zwanzig Bewerbungen geschrieben und immer wieder Ablehnungen bekommen. Es gab eben auch keine Industrie … War ja alles weg. Ich habe die Fotoindustrie ja selbst mit abgewickelt.

Ich war eine Zeit lang Interessenvertreter, frei gewählter Betriebsrat in der Hoffnung, die Fotoindustrie retten zu können, aber das ging nicht. Es war alles wirtschaftlich am Boden. In Hamburg, Nürnberg oder München hätte ich sofort Arbeit gefunden in meinem Beruf, ich war ja qualifiziert, aber da lebte meine alte Mutter hier noch. Meine Kinder waren hier, vor kurzem noch Halbwüchsige, die flügge geworden waren. Meine Tochter hatte geheiratet, den ersten Enkel zur Welt gebracht … und da war mir klar, ich wollte das Umfeld hier nicht aufgeben – und auch, dass ich hier gebraucht wurde.

Blick in das Wohnzimmer der Pfaffs, Treffpunkt der Familie. Foto: Philine Schlick

Die Kinder sagten dann schon sorgenvoll: „Vater, denkst du denn, dass du hier vor der Haustür noch eine Arbeit findest?“ Ich sage: „Ich versuche es eben.“ […] Als die berufsbezogenen Bewerbungen keine Anhörung fanden, habe ich mich mehr aus Galgenhumor bei einer Landesbehörde beworben – und das habe ich gekriegt. […] Durch die Betriebsrattätigkeit war ich dann schon ein Stückchen bekannt geworden, hab Vorträge gehalten, in sozialethischen Kolloquien oder in Kirchen Fragen gestellt oder habe in der Treuhandanstalt mit verhandelt. Da bin ich bekannt geworden und hatte dann offenbar auch Zuspruch von Kirchen oder Parteien, obwohl ich nie einer Partei angehört habe.

Es gab dann positive Stimmen. Das habe ich alles erst hinterher erfahren. Von der Landeskirche wusste ich, dass ich von der Kirche eine Empfehlung hatte.

[…]

In der DDR war nicht alles Vernunft

Aus dem Bereich gab es vielleicht auch Fürsprecher. Ich habe drei Kirchentage zu DDR-Zeiten mit vorbereitet. Den großen 1983 in Dresden. Da ging es vor allem auch um Umweltfragen – natürlich immer alles streng biblisch orientiert. Es war erstaunlich, was es vor 2000 Jahren schon so alles gegeben hat und wie es dann hier auf die Wirklichkeit passte (lacht).

Wir wussten, dass die Stasi immer dabei ist und haben gelernt, uns so zu äußern, dass sie es eben hören sollen. Ein Beispiel: Wir hatten ein hervorragendes Landeskulturgesetz. Die DDR schon eines. Die BRD noch keins. Das stimmt tatsächlich. Da haben wir gesagt: „Wir haben ein gutes Landeskulturgesetz, da stehen lauter gute Sachen drin. Dass wir die Erde erhalten wollen – das wollen wir Christen auch. Nutzen ja, aber nicht kaputt machen. Und wir verstehen nicht, warum wir aus der Elbe keine Wasserproben nehmen dürfen. Wir wissen, das Wasser ist nicht in Ordnung. Warum ist das nun verboten? Das ist diametral entgegen gesetzt und wir wollen, dass das in Ordnung kommt. […] Warum darf man das nicht prüfen und jemandem mitteilen, der dafür zuständig ist, falls die es vielleicht noch gar nicht gemerkt haben …?“

Rainer Pfaff auf einem Foto mit seiner Frau. Foto: Philine Schlick

Solche Äußerungen waren am nächsten Tag ganz oben. Wenn Sie eine Eingabe gemacht hätten, die hätten die unteren Beamten aufgehalten oder verschwinden lassen. Und so war es ganz schnell oben und das wollten wir! Wir haben Dinge angestoßen, die notwendig waren […]

In der DDR war nicht alles Vernunft. Die DDR hatte gute Ziele, aber die haben es eben nicht gemacht. Und sie sind dann unglaubwürdig geworden. Der Eine durfte reisen, der Andere nicht. Einer kriegte einen Posten, der Andere nicht – auch wenn die Bedingungen alle erfüllt waren. Das hat dann den Volkszorn ausgemacht. […] Die Regierung hatte das alles. Alles, was „böse“ war: Reisemöglichkeiten in fremde Länder, fremde Währung, bessere Schuldbildung, bessere Krankenhäuser, Fernsehen. Staatsnahe hatten Möglichkeiten, die anderen nicht. Das stank dem Volk, bis es auf der Straße stand und sagte: „Wir sind das Volk“. Das war sicher auch ein Effekt der Kirchentage. Es hat dort keine Beschlüsse gegeben, aber die Menschen haben die aufkommenden Fragen mit ins Bett genommen. […]

So wollen wir nicht leben

Es wurde keiner ums Leben gebracht, es wurden keine Häuser angezündet, sondern es gab Blumen für die Polizisten. „Du wirst doch hier nicht auf Arbeiterkinder schießen. Wir wollen leben, wir wollen das aber demokratisch machen. Du gehörst dazu, du musst gucken, dass das alles richtig geht.“ Das haben die Jungs eingesehen. […]

Ich habe auch in Dresden mitdemonstriert. Abends waren wir demonstrieren und morgens wieder pünktlich auf dem Arbeitsplatz. Arbeit musste ja sein. […] Wir sind das Volk und es gibt Dinge, über die müssen wir reden. Dann kamen der Mauerfall und die runden Tische. Das war eine bewegte Zeit. Das hat was verändert. Es war eine Befreiung. Dass wir sagen konnten: Wir müssen miteinander reden, was verändern. Die ersten Gedanken waren ja, den Sozialismus, der ja gute Absichten und Ziele hatte, demokratischer zu machen, transparenter.

Dann entwickelte sich das aber weiter, dass wir uns vereinigen wollten. Weil der Sozialismus, wie er hier gelebt wurde, eben doch nicht lebenstauglich war. Weil es nicht so gemacht wurde. Die Mangelwirtschaft. Dass es monatelang keinen Zement gibt, weil sie Tschernobyl zuschütten mussten. Oder kein Waschmittel, keine Autoersatzteile oder keinen Senf. Wer West-Kontakte hatte, der kriegte das – wer nicht, ging leer aus. Da haben die Leute gesagt, so wollen wir nicht leben. […]

Ich habe mich nicht aussortiert gefühlt

Ein Gespräch mit einem Dialog ist inzwischen leider immer seltener geworden. Es werden Parolen gebrüllt, es werden Häuser angezündet, Menschen umgebracht. Es ist furchtbar. Auch in den Fernsehrunden. Ich habe direkt mal hingeschrieben während einer Sendung von Frank Plasberg, dass es für ältere sehr schwierig ist zuzuhören, wenn in die Gespräche hineingeredet wird und was der Moderator für Möglichkeiten hat, die Sprecher zu bremsen … Es ist sein Job das durchzusetzen, eine Gesprächskultur. […]

Das [die Wiedervereinigung] will niemand rückgängig machen. Aber viele haben ihren Arbeitsplatz verloren und damit einen Lebenssinn, weil der Arbeitsplatz ja auch ein Stück eine soziale Klammer ist, wo man hinkommt, wo man wer ist, wo man was kann und weswegen man geachtet ist und sich auch wohlfühlt, weil man was geschafft hat und seinen Anteil zum Ganzen gibt und sich berechtigt als Mitbürger fühlt. Das ist vielen verloren gegangen, das haben viele nicht verkraftet. Sie sind verletzt, fühlen sich aussortiert und wissen nicht, was sie falsch gemacht haben und leiden da dran. Es hat dramatische Folgen für ihre Lebensplanung wenn ich z.B. an die Mütter und ihre Rente denke …

“Ich nehme mir jetzt Zeit für mich” – Reiner Pfaff. Foto: Philine Schlick

Ich habe es nun anders gemacht. Ich habe nach der zwanzigsten Bewerbung begriffen: Pfaff, du hast hier keine Chance auf dem Weg, du musst was anderes machen. Das war sehr, sehr schwer. Ich habe auch später noch eine Anpassungsqualifizierung gemacht, habe mein Leben lang versucht, mich weiterzubilden und an die Bedürfnisse anzupassen, so weit sie mit meinen übereinstimmen.

Es reicht nicht aus, wenn ich sage, ich habe einmal Schäfer gelernt, ich kann nur das machen. Vielleicht muss ich auch lernen Gänse zu hüten. Oder Wiesenbauer werden – oder sonst was. Weil sich die Bedürfnisse ändern und ich kann nicht auf meinem verharren. Das haben viele nicht so gesehen. Die wollten nur das machen, was sie gut konnten. Hätte ich ja auch gerne gemacht. Aber es war plötzlich nichts mehr gefragt. Aber deswegen habe ich mich nicht aussortiert gefühlt.

Mir war auch klar, ich würde nie arbeitslos werden. Im Markt könnte ich vielleicht Gemüsekistenschleppen – Arbeit gibt es genug. Das sehe ich am Ehrenamt: Da können Sie am Tag 36 Stunden arbeiten. Aufgaben gibt es genug. Und mir war klar: Irgendwas musst du finden. Hauptsache ich kann überleben. Das war mir klar und das habe ich auch gelebt. Das haben viele nicht geschafft und fühlen sich unsicher, sind enttäuscht. Ihre Erwartungen sind nicht erfüllt worden und jetzt wollen sie es dem Staat zeigen.

Mir ist Ausgewogenheit wichtig

Es gibt aber aus meiner Sicht kaum eine bessere Gesellschaft als unsere, wo man solche Fehlentwicklungen korrigieren kann. Und es ist eine Fehlentwicklung, dass so viele zurückgelassen wurden, dass ein Humankapital vergeudet, verschenkt, verschlumpert wird –[…]

Wünschen würde ich mir für die Johannstadt mehr kleine Einkaufsläden. Wenn ich im Aldi einkaufen gehe, ist das wie eine große Lagerhalle. Es gibt niemanden, den ich fragen kann. Beim Konsum ist es schon etwas anderes, auch die Präsentation der Waren. Dort treffe ich Mitarbeiter und kann mich beraten lassen. Mich stört nicht, dass es hier türkische und arabische Läden gibt. Das ist eine Bereicherung, wenn es dazu auch genügend einheimische Geschäfte gibt.

Nach der Wende sind meine Frau und ich viel gereist – nach Italien, Frankreich, Tunesien, die Türkei. Mehrmals. Dort haben wir manch einen getroffen, der war europäischer als hierzulande einer. Mir ist aber Ausgewogenheit wichtig. Es muss alles geben, aber in einem ausgewogenen Verhältnis […] Und dass die letzten Freiflächen in der Johannstadt nicht zugebaut werden. Auf dem alten Plattenwerksgelände könnte vielleicht ein kleiner Park entstehen mit einem Kultur-Café. Es muss Lebensraum für viele Bedürfnisse geben – für Menschen und auch Parkplätze […]

In dieser RBB-Dokumentation kann man den Worten von Herr Pfaff lauschen: Die verschwundene Heimat.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Johann*s Eisfenster sucht einen Nachfolger

eingestellt am 06.02.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Die Zukunft von Johann*s Eisfenster hängt von einer würdigen Nachfolge ab. Foto: Philine Schlick

“Johann*s Eisfenster” am Bönischplatz sucht einen Nachfolger. Das besagt ein Schild in der Fensterscheibe. Es liegt nahe, dass die Zukunft der Standorte Neustadt und Pieschen vom Eisfenster in der Johannstadt abhängt.

Johann*s Eisfenster ist geschlossen – im Winter eigentlich nichts ungewöhnliches, denn Saison war von Frühjahr bis Herbst. Doch jetzt klebt ein gelber Zettel in der Scheibe: Nachfolger gesucht.

Inhaber Leander Bienert hatte bereits im November für das “Café Komisch” in der Neustadt eine Pause angekündigt. Einen dritten Standort stellte seit 2008 der umgerüstete Bauwagen vor dem Elbcenter Pieschen dar. Bienert betrieb die Eis-Läden gemeinsam mit Martin Petzold, der für die Eisproduktion zuständig war.

In der Johannstadt wurde das Eis für alle drei Standorte in altgedienten DDR-Maschinen produziert.  Jetzt suchen die Eismänner eine Nachfolge – ob nur übergangsweise oder endgültig, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob es schon Meldungen auf das Angebot gibt.

Auf eine Anfrage an die ausgeschriebene Mailadresse erhielt die Redaktion bislang keine Antwort. Laut Aushang besteht für Interessenten die Möglichkeit der Einarbeitung – die Maschinen und das Interieur sollen demnach am Platz erhalten bleiben.

Wer also noch einen Sommer-Job mit Beliebtheitsgarantie sucht, sollte sich melden: cafeKomisch@web.de. Ohne Eisladen verlöre der Bönischplatz ungemein an Charme.

Leander Bienert pausiert auch das Café Komisch in der Neustadt. Foto: Philine Schlick.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Die Zukunft kommt an – Rückblick auf die Infoveranstaltung “Soziale Stadt”

eingestellt am 01.02.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Es durfte in die Zukunft geträumt werden beim Johannstadtforum im Januar 2020. Foto: Anja Hilgert

Beitrag von Anja Hilgert

Wenn überwältigend zahlreich Stadtplanquadrate, Aufrisse und hochformatige Mehrfarbendrucke professionell präsentiert werden und den Ausbau eines Stadtviertels bis in konkrete Details skizzieren, ist vom langen Arm der Stadt bereits reichlich Vorarbeit geleistet worden. So kann der Eindruck entstehen, mit visionärer Wucht und Vehemenz stünde wie mit einem Mal das Neue direkt vor der Haustüre. Die Fakten und Ansätze wurden lebhaft diskutiert bei der Informationsveranstaltung “Soziale Stadt Nördliche Johannstadt” am 25.1.2020.

Es wird konkret

Manche Bewohner*innen des beplanten Viertels merken von der neuen Entwicklung erst etwas, wenn der Kran über der Baugrube schwingt. Viele wissen nicht darum, dass ihr alltäglich erfahrenes Lebensumfeld in den Augen von Stadtplanungsamt und Stadtrat sowohl für förderbedürftig, als auch für förderwürdig befunden wird. Und wieder andere, die mit stärkerem Bezug zum Viertel leben, haben vielleicht eine vage Vorstellung von dem, was an Veränderung im Kommen ist.

Klar umrissen: Umgestaltungspläne für die Nördliche Johannstadt. Foto: Anja Hilgert

Vor Ort wird es jetzt konkret. Entwicklung findet bereits statt, die entscheidende Frage ist, wie man so viele Menschen wie möglich erreicht und zur Beteiligung anregt. In der Nördlichen Johannstadt wird die Zukunft im Laufe der nächsten vier Jahre mit besten Mitteln von Stadt und Land so gestaltet, dass sie in der Tat stattfinden kann. Genau genommen setzte sie am vergangenen Montag mit einem Spatenstich auf dem Trinitatiskirchgelände bereits an.

Kritikpunkte Aldi-Bäume & Parkplätze

Von Beginn an herrschte bei der Informationsveranstaltung unter den mehr als 100 Anwesenden Anspannung im Saal. Mitgebrachter Unmut, aufgebaute Fronten, Neugierde, Unverständnis und Widerstand gaben eine potente Mischung ab.

Repräsentativ für die Bevölkerungsentwicklung im Viertel waren gut 50 Prozent der Besucher*innen um und über 60, viele sind Bewohner*innen der umliegenden Plattenbauten und Wohnhöfe.

Reger Austausch unter Bürger*innen an den Stellwänden. Foto: Anja Hilgert

Ein straff moderierter Zeitplan baute aus elf Projektpräsentationen einen Spannungsbogen, in dem sich Neuerung an Neuerung reihte. Dem Staunen waren keine Grenzen gesetzt, doch nicht alle nahmen die Informationen mit interessiertem Vergnügen auf.

Die Fällung von selbst gepflanzten Baumreihen im Bebauungsareal von Aldi der Pfeifferhannsstraße lag wie ein Stigma auf der Veranstaltung, an dem die Diskussion sich immer wieder entzündete.

Frau Ostermeyer vom Stadtplanungsamt gibt Auskunft. Foto: Anja Hilgert

An die Vorträge anschließende Fragen waren befindlich gestimmt, furchten  der Nachfrage nach angestammten Parkplätzen und Tiefgarageneinfahrten die Bahn, sodass kaum konstruktiv mit alternativen (Denk)Wegen geantwortet werden konnte. Die Hoffnung auf mehr Gesprächskultur musste sich an die Infostände der einzelnen Redner*innen verlagern, die in Menschentrauben dann auch rege aufgesucht wurden.

Probleme treffen auf Projektideen

Von den einen notgedrungen als spannungs- und konfliktreich empfunden, werden die Herausforderungen, vor die der gesellschaftliche Strukturwandel uns stellt, von anderen als Aufruf verstanden, ins Handeln zu kommen.

2014 hat der Stadtrat einen Teil der Nördlichen Johannstadt als Fördergebiet Soziale Stadt festgelegt. Hier, in attraktiver Lage am dicht bebauten Rand der Innenstadt, kommen die Widersprüche und Unvereinbarkeiten der im Umbau befindlichen Gesellschaft besonders deutlich zum Ausdruck.

Neue Vernetzung in der ehem. Schokofabrik: Stand des Integrierten Familienzentrums mit Frau Heubner-Christa vom Deutschen Kinderschutzbund OV Dresden und Architekt Alexander Poetzsch. Foto: Anja Hilgert

Im Zuge städtebaulicher Entwicklungen und infrastruktureller Versäumnisse seit den 1990er Jahren hat der Stadtteil mit Dresdens drittgrößter Großwohnsiedlung nach Prohlis und Gorbitz eine Abwertung erfahren, die sich in mangelhafter, verödeter Bausubstanz, Defiziten der Infrastruktur und einer Verwahrlosung im öffentlichen Raum niederschlägt.

Herr Samuelsson vom Stadtplaungsamt beantwortet Fragen. Foto: Anja Hilgert

Daraus resultiert eine sozial prekäre Lage. Die Quote an einkommenschwachen und sozial benachteiligten Haushalten sowie der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt innerstädtisch überdurchschnittlich hoch. Probleme wie fehlende soziale Teilhabe, mangelnder Zugang zu Bildung und Kultur, Segregation, Anonymität, Altersarmut, Lärm, Schmutz, Vandalismus, Drogen, Jugendkriminalität zeigen den besonderen Entwicklungsbedarf des Quartiers an.

Besonderes Augenmerk auf Kindern und Jugendlichen

Diese Diagnose ist der Schlüssel zum 2017 verabschiedeten Entwicklungskonzept „Soziale Stadt Nördliche Johannstadt“, mit dem eine Steigerung der Lebensqualität für alle Bewohnergruppen angestrebt wird.

Abschlussplädoyer des Quartiersmanagers Nördliche Johannstadt, Matthias Kunert, mit Vertretern des Stadtplanungsamtes, Foto: Anja Hilgert

Rund 15 Millionen Euro fließen bis 2024 in das Gebiet und werden ausgeschüttet auf die sich nun konkretisierenden Bauvorhaben und Projekte, die in der Informationsveranstaltung vorgestellt wurden und unter diesem Link einzusehen und nachzulesen sind. Schwerpunkte bildeten die Neubauten des Integrierten Familienzentrums des Deutschen Kinderschutzbundes und des Stadtteilhauses Johannstadt sowie der Umbau der Trinitatiskirchruine zur Jugendkirche. Alle drei modernen Gebäude sind nach unterschiedlichen Gesichtspunkten und mit vielseitigen partizipativen Angeboten als offene Häuser und Orte der Begegnung geplant, die allen Stadtteilbewohner*innen offen stehen. Sie wollen zur Identität der Johannstadt beitragen.
Sie haben jeweils zum Ziel, die Wirksamkeit bestehender Dienste zu vergrößern und sozialen Einrichtungen Räume zur Verfügung stellen, um ihren Adressatenkreis zu erweitern, mehr Menschen aktiv einzubinden und Möglichkeiten für Kontakt, Begegnung, gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen zu schaffen.

Schüler*innen der Boss Meal-Schüleraktiengesellschaft der 101. Oberschule sorgten für einen Imbiss. Foto: Anja Hilgert

Ein besonderes Augenmerk aller Projektpartner*innen liegt auf der Erhöhung der Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen, insbesondere aus finanziell und sozial benachteiligten Familien, denn in ihnen wächst die kommende Generation, die eine positive Gestaltung unserer Gesellschaft fortsetzen kann. Insofern absolut erfreulich hervorzuheben ist, dass Schüler*innen der BOSS MEAL-Schüleraktiengesellschaft der 101. Oberschule das Catering übernahmen und die Teilnehmenden mit erfrischenden Getränken, Früchten und kleinen Speisen versorgten.

Jetzt wird gebaut – eine Übersicht

  • Umgestaltung des Bönischplatzes (Baubeginn März 2020) für eine Aufwertung des Öffentlichen Raums an der Verkehrsader des Viertels, Pfotenhauerstraße mit Buslinie 62: Anwohner*innen reklamierten die wunschgemäße Umsetzung eines Trinkbrunnens. Für den Ersatz der wegfallenden 40-50 Parkplätze prüft die Stadt den Bau eines Parkhauses.
  • Ersatzneubau der Turnhalle 102. Grundschule „Johanna“ (2021/2022) als Einfelder-Sporthalle, die auch von bestehenden Vereinen genutzt werden kann: Anwohner*innen des angrenzenden Wohnblocks wünschten aus Gründen des Lärmschutzes eine Verlegung des Schulspielhofes auf die Schulgebäuderückseite, anstatt nach vorn zur Pfotenhauerstraße
  • Umgestaltung der ehemaligen Stephanienstraße (2021/2022) als begrünte, im Einzelnen noch gestaltbare und vielleicht gemeinschaftlich pflanzbare Allee, erschließt die Einbindung des Umfelds ehemaliges Plattenwerk. Bedauert wird der Wegfall der Aktionsfläche auf der Brache, die als Rodelhang, als Skaterfläche, als Bikeparcours, für Picknicke und Feste frei genutzt wurde, mit dem Impuls, private Grundstückseigentümer möglichst einzubeziehen in die Stadtteilneuerung. Senior*innen betonten Erholungsqualität und Ruheanspruch im Quartier, die das erholsame grüne Band der Elbwiesen allein nicht für alle abfangen kann.
  • Zur Jugendkirche umgebaute Trinitatiskirche (2020/2021): Während der gesamten Bauphase soll Transparenz herrschen, so gibt es online Bilder einer Webcam von der Baustelle und die Einladung zum Fest zum Baubeginn am 28. März. Eine engagierte Wortmeldung betonte die generationsübergreifende Verbundenheit im Stadtbezirk mit der Trinitatiskirche unter deren angestammtem Namen, der identitätsstiftend wirke. Der Wunsch, dies bei der Namensgebung der zukünftigen Jugendkirche zu bedenken, erhielt viel Beifall.
  • Umbau und Sanierung der ehem. Schokofabrik zum Integrierten Familienzentrum des Deutschen Kinderschutzbunds OV Dresden e.V. (2021/2022): für das innovative Gebäude verbleibt der ehemalige Fabrikschornstein als markantes Signal mit Wiedererkennungswert in den Stadtteil.
  • Neubau des Stadtteilhauses als Ersatzneubau für die angestammte Institution des Johannstädter Kulturtreffs sowie die Angebote des Ausländerrats und des Kindertreffs JoJo, verbunden mit der Neugestaltung des Bönischgartens mit integriertem Spielplatz sowie der ehemaligen Blumenstraße (2022/2024). Für den Ersatz der wegfallenden PKW-Stellplätze wird aus der Anwohnerschaft der Bau einer zweietagigen Tiefgarage unter dem Stadtteilhaus angeregt – ein Anliegen, dass das Stadtplanungsamt zur Prüfung mitnimmt.
  • Mit Interesse wurde auch das ebenfalls vorgestellte private Wohnungsbauvorhaben der FLÜWO-Bauen Wohnen eG zwischen Käthe-Kollwitz-Ufer und Florian-Geyer-Straße wahrgenommen, das in diesem Jahr mit der Errichtung von 120 1-5-Zimmerwohnungen am Käthe-Kollwitz-Ufer beginnt.
Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.Die Veranstaltungsdokumentation des Quartiersmanagements sowie alle Präsentationen der Veranstaltung finden Sie hier zum Download.

Die Güntzstraße

eingestellt am 01.02.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Perspektive auf den Straßburger Platz. Foto: Alexandra Jentsch

Gastbeitrag von Alexandra Jentsch

Den meisten Dresdnern dürfte der 26er Ring, welcher das erweiterte Dresdener Zentrum umfasst, ein Begriff sein. Weniger bekannt ist die historische Struktur des sogenannten Environringes auf die er zurückgeht. Dieser verband die am Eingang zur Stadt errichteten Schläge und Torhäuser, an denen das Marktgeld erhoben wurde. Der Weg, der die Stadt also einst außerhalb ihrer Tore umrundete, wurde im Laufe der Jahrhunderte von ihr überwuchert und zu einer vielstreifigen Verbindung ausgebaut, deren östlichen Teil heute die Güntzstraße bildet.

Statue: Der Wille des Menschen zum Flug. Foto: Alexandra Jentsch

Da eine Verbindung ihrem Wesen nach auf ihre Endpunkte ausgerichtet ist, rauscht der Teil dazwischen meist vorbei. Auf dem Weg zum Großen Garten oder in die Neustadt, zur Arbeit oder zum Bahnhof. Ihr funktionaler Straßenraum ist auf Durchlass ausgerichtet, wenig nur hält den Blick, der auf das Ziel gerichtet ist oder nach innen. Doch lässt man sich kurz aufhalten, wird gebremst von einer Straßenbahn oder einer Ampel und schafft es in einem unbeschwerten Moment die Aufmerksamkeit kurz nach außen zu wenden, nach rechts und links zu sehen, wird der Blick dankbar aufgefangen und belohnt, bevor sich die Türen schließen, die Ampel auf Grün umschaltet und man weiter treibt.

Lange Zeit hörte die Güntzstraße, wie der an ihrem Nordende angrenzende Friedhof, auf den Namen des Propheten Elija, bevor sie 1938 der Erinnerung an Justus Friedrich Güntz gewidmet wurde. Der vom Schicksal schwer geprüfte Herausgeber des Dresdner Anzeigers überführte die Einnahmen seiner Zeitung in eine Stiftung, deren Wirkung noch heute, etwa durch das Pflege- und Seniorenheim „Clara Zetkin“ oder die Zwillingbrunnen am Albertplatz sichtbar ist. Hier auf dem östlichen Ring ist sie wenig präsent, sodass die wichtigste Verbindung des Mäzens zu „seiner“ Straße wohl die Familiengruft auf dem Eliasfriedhof ist.

Tradition und Moderne vor der Gläsernen Manufaktur. Foto: Alexandra Jentsch

Die Straße scheint zu altern, je weiter man nach Norden kommt. Während auf dem mittlerweile zum Denkmal erklärten Friedhof die Zeit seit dem 19. Jahrhundert still steht, streben am Südende, dem Straßburger Platz, moderne, sich gegenseitig reflektierende Glasfassaden empor. Nur die an schwarz-gelben Tagen berstende Sportsbar und die schräg gegenüber mahnende Gedenkstätte für den einstigen Namensgeber des Platzes – Julius Fučík – können sich in ruhigen Nächten noch Geschichten aus der Vorwendezeit erzählen. Mitreden könnte dabei sicher auch das in den 50ern entstandene Berufliche Schulungszentrum für Bau und Technik, an dessen Zugang, vom Grünspan umflossen, der ewig wissende Lehrmeister dem tüchtigen Schüler die Richtung weist.

Statue: Bauarbeiter und Lehrling. Foto: Alexandra Jentsch

In entgegengesetzter Richtung liegt der sogenannte Güntzpalast, der zur näheren Betrachtung einlädt. Ebenfalls im sachlichen Stil der 50er Jahren erbaut, schmückt die zur Striesener Straße ausgerichtete Hauptfassade ein Fries, dessen hart geschnittene Figuren in mehreren Szenen die Stadtgeschichte nachstellen.

In den Gängen der Akademie. Foto: Alexandra Jentsch

Die unterschiedlichen Vorhänge in den hohen Fenstern und Erkern bilden ein buntes Mosaik gegen den farblosen Dresdner Winter. Analog zu den emporstrebenden Einwohnern des Studentenwohnheimes schmückt „Der Flugwille des Menschen“ den Vorplatz des Gebäudes, wobei die gen Himmel wirbelnde Brunnenskulptur einige Jahrzehnte auf ihre endgültige Fertigstellung im Jahr 2015 warten musste.

Gelernt wird auch am westlichen Ufer der Straße, wo der Neubau des St. Benno-Gymnasiums seiner 300-jährigen Tradition und dem vergleichsweise unscheinbaren Gegenüber eine preisgekrönte Architektur entgegensetzt, deren Blau selbst im peripheren Sichtfeld der Vorbeirauschenden auffällt.

Vergnügter Engel. Foto: Alexandra Jentsch

Dass die Straße nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch einer des Schaffens ist, beweist u.a. die Werkstatt des Lebenshilfe e.V. für Menschen mit Behinderungen, wo die Mitarbeiter*innen in geduldiger Fließbandarbeit die kleinen Plasteschächtelchen zusammen falten, welche sich bald mit mundgerecht geschnittenen Fruchtstückchen gefüllt in den Auslagen der Obst- und Gemüsehändler finden.

Auf der Zeitreise gen Norden, stehen jenseits der Holbeinstraße mit dem Bürogebäude der Landesversicherungsanstalt und der Akademie für Kunstgewerbe, welche heute einen Teil der Hochschule für bildende Künste beheimatet, zwei Bauten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nebeneinander.

Brunnen an der Akademie. Foto: Alexandra Jentsch

Die Reliefs der Fassade der Rentenversicherung blicken mahnend zu ihrem musischen Nachbarn hinüber, der sie im Torbogen über einem Seiteneingang zum Hof als lustiges Gesicht mit einladend aufgerissenem Mund empfängt. Hinter der reich verzierten Fassade mit den schweren Türen liegen ruhige Gänge, deren Wände mit großformatigen Bildern der Student*innen behangen sind.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Der Neue Jüdische Friedhof: Haus der Ewigkeit

eingestellt am 25.01.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Der neue Jüdische Friedhof in der Johannstadt. Foto: Alexandra Jentsch

Gastbeitrag von Alexandra Jentsch

Am Rande der tosenden Fetscherstraße steht, etwas eingerückt, hinter einer Reihe von Bäumen eine Mauer. Der Efeu kriecht an ihr empor bis zu den Giebeln, die sie in unregelmäßigen Abständen überragen und den Passanten die blinde Rückseite zuwenden. Folgt man dem Verlauf der Mauer weiter in die Fiedlerstraße, wird sie zu einem durchlässigen Zaun, dessen schlanke Glieder den Blick frei geben auf ein strahlend weiß gestrichenes, niedriges Gebäude, dessen bescheidene Kuppel von einem verzierten Davidstern gekrönt wird. Man betritt den Neuen Jüdischen Friedhof.

Grabplatte auf dem Neuen Jüdischen Friedhof. Foto: Alexandra Jentsch

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Zwischen den Reihen der Gräber liegen sauber geharkte, schattige Wege, auf denen das Rauschen der Stadt fern scheint. Statt Blumenschmuck liegen auf einigen Grabsteinen kleine Steine. Ansonsten fallen dem Laien zunächst mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu den christlichen Ruhestätten auf. Tatsächlich bezieht sich die Gestaltung der meisten Grabmale des 1867 eröffneten Friedhofes auf die damals vorherrschenden Strömungen in Kunst und Architektur.

Mehr noch als beim Alten Jüdischen Friedhof, nahe der Bautzner Straße, auf dem hebräische Inschriften auf verhältnismäßig schlichten Grabsteinen vorherrschen und noch häufiger jüdische Handwerkssymbole zu finden sind, wird hier auf dem Neuen Friedhof aus Klassizismus und Jugendstil zitiert. In dieser Orientierung an christlichen Friedhöfen, in der Formsprache der teils sehr prachtvollen, säulengestützten Bögen und Giebeln, kann man einen Ausdruck der Jüdischen Assimilation und Emanzipation in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sehen, welche letztlich in der (formellen) rechtlichen Gleichstellung mündete.

Auf jüdischen Friedhöfen werden anstatt von Blumen Steinchen auf den Grabstein gelegt. Foto: Alexandra Jentsch

Jüdische Geschichte

Von Sandstein, Granit oder Marmor lassen sich noch heute die Namen einiger Protagonisten dieser Entwicklung ablesen. Der 1829 geborene Emil Lehmann zum Beispiel. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, war politisch sowohl als Stadtverordneter, als auch im Landtag aktiv und brachte u.a. einen Antrag auf Abschaffung des Judeneides ein, dem letztlich entsprochen wurde. Oder Georg Arnhold (1859 – 1926), der heute den meisten wohl vor allem durch das von ihm gestiftete Schwimmbad bekannt ist. Sein Engagement für die Gesellschaft zeigte der Bankier außerdem durch die Unterstützung der Friedensbewegung.

Auch über das Wirken der Familie Bondi, der Familie Salzburg, des Dr. Wolf Landauer und etlicher weiterer ist heute noch einiges bekannt. Von den allermeisten aber bleiben nur die Inschriften auf den Grabsteinen: ein Name, eine Zahl, ein Ort, vielleicht eine kurze Widmung. Und dennoch, setzt man diese Daten in den historischen Kontext, sprechen die Toten, erzählen ihre Geschichte und werden zu einem Chor, der die Geschichte der Juden in Deutschland erzählt. † 1917 Ypern, † 1938 Dresden, † 1942 Auschwitz.

Blick auf die Reihen der Grabsteine auf dem Neuen Jüdischen Friedhof. Foto: Alexandra Jentsch

Für die Überlebenden der Shoa wird der Friedhof zu einem Ort des Neuanfangs. Ein Wiederaufbau der Alten Synagoge, die während der Novemberpogrome 1938 niedergebrannt wurde, ist nach dem Krieg nicht möglich und so wird im Jahr 1950 der Davidstern, der von einem ihrer Nebentürme gerettet und während des Krieges versteckt werden konnte, auf die Kuppel der ehemaligen Totenhalle gesetzt und diese zur Synagoge geweiht. Hier wird von der Bima aus wieder die Tora gelesen, hier sammelt sich die kleine Gemeinde bis 2001 schließlich die Neue Synagoge  fertiggestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt leben bereits wieder über 700 Juden in Dresden und der Kuppelbau wird seinem ursprünglichem Zweck zugeführt.

„Haus der Ewigkeit“ lautet eine Übersetzung des hebräischen Begriffs für Friedhof. Die Gräber werden gemäß der Gesetzte des Judentums nicht eingeebnet, werden nicht für eine begrenzte Frist gemietet, sondern bleiben. Zu ihnen kommen die Jüngeren, an denen es ist, die Geschichte weiter zu erzählen.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Messe “Fokus Förderung” am Mittwoch in der JohannStadthalle

eingestellt am 24.01.2020 von Philine Schlick

Ob Nachbarschaftsfeste, Vortragsreihen, interkulturelle Veranstaltungen oder Antirassismustraining – Projekte, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, brauchen Geld. Wie ehrenamtlich Engagierte ihre Projektideen finanzieren können, erfahren sie auf der Messe „Fokus Förderung“.

Förderer stellen sich vor

Am Mittwoch, dem 29. Januar, stellen sich lokale, regionale und bundesweite Fördermittelprogramme ab 17 Uhr in der JohannStadthalle Dresden vor. Mit dabei sind das Sächsische Sozialministerium, die Bürgerstiftung Dresden, die Ostsächsische Sparkasse Dresden, die Sächsische Jugendstiftung und zahlreiche andere Fördermittelgeber, die sowohl spezielle Programme für Dresden, als auch sachsen- bzw. bundesweite Projekte fördern.

Messe als Kontakt-Ort

In diesem Jahr liegt der inhaltliche Schwerpunkt der Messe auf Demokratieförderung und integrativem Engagement. Ziel ist es, den persönlichen Kontakt zwischen Fördermittelgebern und potenziellen Antragstellern zu ermöglichen und konkrete Fragen gleich vor Ort besprechen zu können. Organisiert wird die jährlich stattfindende Fördermesse vom House of Resources des Kulturbüros Dresden (Büro für freie Kultur- und Jugendarbeit e.V.). Die Auftaktveranstaltung im vergangenen Februar besuchten 180 Interessierte

Das House of Resources unterstützt das gesellschaftliche Engagement von Migrantinnen und Migranten durch Beratung, Weiterbildung und Vernetzung und durch einen Mikroprojektefonds auch finanzielle Förderung für integrativ wirkende Projekte.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Die Fetscherstraße

eingestellt am 18.01.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Fetscherstraße in Blickrichtung Norden. Foto: Alexandra Jentsch

Gastbeitrag von Alexandra Jentsch

Dresden ist keine Großstadt. Eher eine Ansammlung mehrerer kleinerer Städte, die sich für ein gediegenes Stelldichein im Elbtal getroffen haben. Wenn einmal so etwas wie ein Gefühl von Großstadt aufkommt, ist es auf den großen Straßen. Auf der Fetscherstraße zum Beispiel. Ein kommentierter Spaziergang. 

Als gut zwei Kilometer langer, präziser Schnitt trennt sie die Johannstadt von Striesen. Als eine der Hauptadern des östlichen Dresdens verbindet sie den Großen Garten mit der Waldschlösschenbrücke und dem jenseitigem Elbufer. Auf ihren gedachten Nullpunkt, das Palais, wies auch die einstige Benennung als Fürstenstraße hin, die sich heute noch in der Fürstenallee des Großen Gartens wiederfindet. 1946 erfolgte die Umbenennung nach dem im Vorjahr ermordeten Rainer Fetscher, dessen Biographie zwischen Eugenik und antifaschistischem Widerstand zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung einlädt.

Lückenschließung Nummer 33 bis 37. Foto: Alexandra Jentsch

Bebauung als Spiegel der Geschichte

Gegenwärtig empfindet man zumindest den Lautstärkepegel als sehr urban, wenn man sich aus der Fürstenallee kommend in den fließenden Autoverkehr einreiht und durch das gescheckte Spalier der Platanen schnurstracks gen Elbe radelt. Die vorüber ziehende Bebauung durchmisst die Dekaden weniger gradlinig. In unmittelbarer Nähe des Platzes, der passenderweise nach dem tschechischen Pädagogikreformer Johann Amos Comenius benannt ist, steht ein Gebäude, welches heute die 6. Grundschule beherbergt. Der 1957/58 errichtete Bau steht als ein frühes Beispiel der Pavillonschule, deren offene Bauweise eine Abkehr vom einschüchternden Kasernencharakter gründerzeitlicher Schulgebäude darstellt, unter Denkmalschutz.

Wirkt die Bebauung in diesem südlichen Bereich noch nach dem verhältnismäßig einheitlichen Prinzip der Sachlichkeit errichtet, beginnt je weiter man Richtung Fetscherplatz vordringt ein Zickzackkurs durch die Zeit. Auf der Striesener Seite ducken sich gründerzeitliche Villen vor den konfettibunten Neunziger Jahren der Johannstadt in den Schatten der Baumkronen. Etwas weiter stehen sich mit dem Arthushof und dem Wohngebäude der Nummern 33 bis 37 wiederum zwei recht unterschiedliche Protagonisten gegenüber, die jedoch beide der Zeit der Jahrhundertwende entstammen. Bei der Wohnzeile handelt es sich allerdings bereits um eine Reinkarnation aus Nachkriegszeiten.

Herbst an der Fetscherstraße. Foto: Alexandra Jentsch

Brodelnde Kreuzungen, stille Wiesen

An der brodelnden Kreuzung Blasewitzer Straße knickt die Straße nach Norden ab. Hier eröffnet sich der charakteristische Blick gen Waldschlösschenbrücke. Im Sommer flirrt die Luft in der Ferne über dem Asphalt und lässt die silbrig graue Blechkarawane am Horizont wie eine Fata Morgana aus einem Hollywoodstreifen wirken, der die Freiheit der Straße besingt. Man radelt dem Blick hinterher, vertieft sich in das Bild und kann erst im letzten Moment einer sich vom Parkstreifen her plötzlich öffnenden Fahrertür ausweichen. Man flucht leise und fährt, nun wieder aufmerksamer, weiter Richtung Pfotenhauerstraße. Hier finden sich drei Institutionen, in deren Ballung, wer mag, mehr als nur räumliche Zusammenhänge hinein interpretieren kann.

Der Artushof. Foto: Alexandra Jentsch

Rechterhand liegt die weitläufige Anlage des traditionsreichen Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, welches seit 1901 hier untergebracht ist. Linkerhand folgt auf den Jüdischen Friedhof, dessen Außenmauern sich von der Straße abkehren und mit dessen Innerem sich ein anderer Artikel beschäftigt, der Ostflügel des Pflege- und Seniorenheimes Clara-Zetkin, als denkmalgeschütztes Überbleibsel eine wesentlich größeren Komplexes, dessen Nordflügel komplett zerstört wurde.

Einen versöhnlichen, kreierenden Abschluss bildet der Standort der Hochschule für bildende Künste an der Pfotenhauerstraße, wo sich seit 1910 der Bildhauerei gewidmet wird und wo man entscheiden kann, ob man dem Sog der Großstadt auf die Brücke und über die Elbe folgt oder sich von ihr abwendet und in die ruhigen Elbwiesen flüchtet.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Frohe Müllnachten und ein recyceltes neues Jahr – Ein Kommentar

eingestellt am 02.01.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Müllstern in der Elbwiese. Foto: Philine Schlick

Weihnachten und Silvester sind die Zeit der Geschenke, des Schlemmens und des Feierns – und damit die Hoch-Zeit des Mülls. Die “orangefarbenen Engel” der Stadtreinigung bringt ihn für die Haushalte um die Ecke. Alles können sie jedoch nicht bereinigen. Eine schmutzige Auseinandersetzung mit einem leidigen Thema.

Grün, braun und schwarz sind die Tonnen, die regelmäßig von der Stadtreinigung Dresden geleert werden. Seinen Sitz hat das Unternehmen in der Johannstadt und ist damit ein Lokalmatador.

Wenn der Großteil der Stadt sich zu Neujahr von der Nacht erholt, räumt die Stadtreinigung mit 40 Mitarbeiter*innen das Schlachtfeld auf. Foto: Philine Schlick

Susanne Kirsch, Pressesprecherin der Stadtreinigung, bestätigt, was angesichts überquellender Müllbehälter naheliegt: Zu Weihnachten und Silvester hat das Entsorgungspersonal besonders viel zu tun. Essen, Verpackungen und Gegenstände landen nicht nur massenweise auf dem Gabentisch, sondern auch in der Tonne. Oder daneben. In der Johannstadt, in der sich zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser finden, ist das Müllaufkommen höher als in anderen Stadtteilen, so Kirsch.

Auf die richtige Tonne kommt’s an

Probleme ergeben sich, wenn Autos den Zugang zu Mülltonnen versperren oder Tonnen mit “falschem” Müll befüllt sind. In diesem Fall wird der Behälter markiert und muss vom jeweiligen Eigentümer sortiert werden: Metall in der Gelben Tonne, Plastik im Biomüll, Elektronik im Restmüll: Solche Fehler behindern das umweltfreundliche Recyceln des Abfalls.

Müll oder nicht Müll? Die Frage kann für unterhaltsame analoge Chatverläufe sorgen. Foto: Philine Schlick

Der Inhalt der schwarzen Restmülltonnen wird von den orangefarbenen Lastern der Stadtreinigung zur Biologisch-Mechanischen Abfallaufbereitungsanlage (BMA) am Hammerweg verbracht. Dort wird der Inhalt sortiert und entwässert. Das Endprodukt der Prozesse ist Trockenstabilat, ein Ersatzbrennstoff, der alternativ zu fossilen Brennstoffen in Zement- und Kraftwerken verwendet wird. Der Heizwert des Stabilats, das lose oder als Pellet ausgeliefert wird, ist mit 12 bis 14 MJ je Kilo doppelt so hoch wie der von Braunkohle.

Der Rest vom großen Fest

Eine Extraportion Müll muss die Stadtreinigung am Ende des Jahres bewältigen. Für die ausrangierten Tannenbäume stehen Container bereit.

Der Weg ins neue Jahr ist gepflastert mit Unrat. Foto: Philine Schlick

Das Aufsammeln der Raketen- und Böllerreste bleibt  Besen und Kehrmaschinen überlassen. Diese rollen über Pflaster und Asphalt – was vorerst liegen bleibt, sind die Müllnester auf den Elbwiesen. Die Radwege an der Elbe werden nicht anlassgebunden, sondern zu ihren regulären Terminen gereinigt.

Am Neujahrsmorgen war zu beobachten, wie sich Spaziergänger*innen mit Mülltüten am Großreinemachen beteiligten. Eine sinnige Idee. Was allerdings kleinteilig im Gras, in Gebüschen oder auch im Fluss landet, bleibt ungezählt. So sehr  die Johannstädter*innen ihre Elbwiesen, Tiere und Kinder und vor allem die Stille lieben – zum Silvesterabend wird das über Bord geworfen und einiges aufs Spiel gesetzt.

Verwunderlich ist besonders, dass volle Verpackungen und Flaschen enthusiastisch zu den Knallplätzen geschleppt werden – das Leergut jedoch regelmäßig an Ort und Stelle verbleibt, als wäre auf dem Heimweg eine Hand weniger frei.

Böllerreste und Scherben bilden nur die sichtbaren Überreste des Silvesterfestes. Foto: Philine Schlick

Was übrig bleibt vom großen Rausch ist ein gehöriges Maß an Müll. Am Neujahrstag hatte die Stadtreinigung allein in der Innenstadt 25 Tonnen gesammelt – bis zum Mittag. Insgesamt wird mit bis zu 45 Tonnen gerechnet. Same procedure as every year. Von den Knalltraumata der heimischen Fauna ganz abgesehen.

Ein Johannstädter Feuerwerk …?

“Es ist ja der Witz am Rausch, dass er gegen die Vernunft ist”, stellt Elisabeth Raether richtig fest. “Für wenige Momente erscheint das Menschsein wunderbar und mühelos.” Nun, von allen Rauschzuständen ist die Böllerei wohl die fragwürdigste. Ein Feuerwerk bietet wenigstens einen Augenschmaus – aber dumpfes Knallen? Das liebe Geld …

Verfechter*innen der alljährlichen Böllerei berufen sich auf die Tradition, böse Geister zu vertreiben. Böse Geister haben nur dort Platz, wo der Mensch von allen guten verlassen ist.

Dass nun gerade diese unnachhaltigste aller Traditionen beibehalten werden soll, erscheint mir unverständlich. Alternativ böte sich ein Neujahrsgesang an. Ein Blaskonzert, Pauken und Trompeten. Eine Feuershow, eine Lampion-Lichterkette. Eine bunt angestrahlte Waldschlösschenbrücke.

Der Himmel hat es zum Jahresende vorgemacht: Nachhaltige, stille, unvergleichliche Pracht. Foto: Philine Schlick

Oder, um der pyrotechnischen Kunst zu frönen: Ein zentrales Johannstädter Feuerwerk, finanziert vom Stadtteil, gezündet vom Profi. Herzchen und das Logo des SSV Turbine, ein dickes “JO!”, Kleeblätter und den Elbebiber könnte man in den Himmel schießen, dreißig fantastische Minuten lang und sich dafür feiern.

Es bliebe Zeit, den Blick zum Himmel zu richten und in aller Ruhe zu staunen ohne die ständige Furcht, eine verirrte Rakete in den Kragen zu bekommen. Das Gefummel an der Lunte unterbliebe und beide Hände wären frei – für die Liebsten, das Smartphone oder um sie lässig in die Jackentaschen zu stecken. Sauberes Neues!

Tanne adé!

Folgende Container-Standplätze zur Weihnachtsbaumabgabe befinden sich vom 30. Dezember bis 11. Januar kostenfrei in der Johannstadt:

    • Blumenstraße/Arnoldstraße
    • Bönischplatz
    • Hopfgartenstraße/Gerokstraße
    • Holbeinstraße (Nähe Permoserstraße)
    • Marschnerstraße/Dinglingerstraße

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

O du friedliche? Nachdenkliches zu den Festtagen

eingestellt am 24.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Worte können Brücken sein. Foto: Thomay Bay

Gastbeitrag von Thomas Bay

Jetzt ist wieder die Zeit, in der es früh dunkel wird. Wenn ich abends durch die Johannstadt gehe, kann ich die festlich geschmückten Fenster sehen und Weihnachtslieder hören, deren Thema nicht selten Frieden ist. Die Feiertage sind wie jedes Jahr schneller da als gedacht und man wünschte sich im Rahmen von Familie und Freunden gerne auch ein friedliches Weihnachtsfest. Bei den Messen wird aus dem Lukasevangelium eine der wichtigsten Botschaften Christi vorgetragen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.

Bei Geld für Rüstung herrscht Einigkeit

Aber wie sieht die Welt um uns herum aus? Inzwischen hört man praktisch täglich in den Medien das immer lauter werdende Säbelrasseln, die ununterbrochenen Rufe nach höheren Militärausgaben, nach mehr und noch tödlicheren Waffen sowie weiteren Militäreinsätzen. Während die Koalition in Berlin an 1,5 Milliarden Euro für arme Rentner fast zerbricht und man in den Medien widerstreitende Standpunkte lesen bzw. hören konnte, herrscht bei mehr Geld für Rüstung eine seltene Einigkeit von Grün bis Blau. Auch in den Medien ist kaum ein gegenteiliger Standpunkt zu finden. Von immer neuen Rüstungsprojekten, über den Aufbau einer europäischen Armee, um zukünftig auch ohne Unterstützung der USA eigenständig Krieg führen zu können, bis zu immer neuen Militäreinsätzen – demnächst werden wir wohl auch vor der chinesischen Küste verteidigt – gibt es zu allem kaum noch Widerspruch. Im Gegenteil: Jeder noch so widersinnige Vorschlag, wie deutsche Marineschiffe im Pazifik, findet breite Zustimmung in der Politik, der Presse und den dort auftretenden Expert*innen. Und ich frage mich: Wo soll das hinführen?

Haben mehr Waffen mehr Frieden gebracht?

Hat das Mehr an Waffen und militärischen Interventionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Welt um uns herum sicherer gemacht? Oder hat es zu den vielen Konflikten in unserer Nachbarschaft beigetragen, diese verschärft und zum Teil nicht sogar erst verursacht? Inzwischen werden Abrüstungsverträge wie der INF-Vertrag, der zur Vernichtung aller landgestützten Mittelstreckenraketen der USA und UdSSR führte, gekündigt. Die Diplomatie besteht praktisch nur noch aus gegenseitigen Vorwürfen, um auf Biegen und Brechen die eigene Position durchzusetzen oder Ultimaten aufzustellen, um den Gegner mit Sanktionen zu überziehen, unter denen in der Regel die Bevölkerung im jeweiligen Land am meisten zu leiden zu hat.

Wer sich dafür einsetzt, die Position des Opponenten und seine Gründe zumindest nachzuvollziehen und zu verstehen, sich mit ihm zusammenzusetzen und zu verhandeln, wird ganz schnell als Wen-auch-immer-Versteher diskreditiert, wenn nicht gleich zum Sympathisanten und Unterstützer erklärt, um jede Diskussion darüber mittels Kontaktschuld im Keim zu ersticken. Dieser Trend ist auch in Deutschland zu beobachten: Die verschiedenen politischen Lager reden fast nur noch übereinander und kaum noch miteinander, was zu einer immer tieferen Spaltung der Gesellschaft und Eskalation der Gewalt führt. Selbst zur Hochzeit des Kalten Krieges schafften es die amerikanischen und sowjetischen Kontrahenten sich an einen Tisch zu setzen, miteinander zu reden und vertrauensbildende Maßnahmen sowie Abrüstungsverträge zu vereinbaren. Warum ist das heute nicht mehr möglich? Wo sind die Politiker*innen und Medienschaffenden, die diese Position vertreten? Wo sind die Menschen, die ihren Wunsch nach einer solchen Politik lautbar werden lassen?

Was könnte alles erreicht werden …?

1800 Milliarden Dollar haben die Staaten der Welt im letzten Jahr für Rüstung ausgegeben. Dieses Jahr werden es noch mehr gewesen sein und bald 2 Billionen erreicht. Jahr für Jahr für Jahr. Der deutsche Verteidigungshaushalt wird 2020 die Rekordsumme von über 50 Milliarden Euro betragen und wenn in den kommenden Jahren das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreicht wird, werden es rund 70 Milliarden sein. Was könnten die Menschen mit diesem Geld alles erreichen, wenn wir es für sinnvollere Dinge als Waffen ausgeben würden? Mit einem Bruchteil des Geldes ließe sich ein Großteil der ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme, vor denen die Menschheit heute steht, lösen oder zumindest deutlich mildern und dadurch die Ursachen vieler Konflikte der heutigen Zeit beseitigen oder wenigstens stark verringern. Was ließe sich nicht alles damit finanzieren? Zugang zu ausreichend sauberen Trinkwasser und Nahrung, funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme, Bekämpfung der wachsenden sozialen Spaltung, zukunftsfähige Verkehrs- und Informationsinfrastruktur, Erhalt und Schutz der Natur …

Wir leben in keiner perfekten Welt. Waffen und die Fähigkeit sich zu verteidigen werden vorerst weiterhin notwendig sein. Wie wir an den Beispielen Jemen und Nordsyrien sehen, ist es jederzeit möglich, dass ein Land seinen Nachbarn überfällt und dort Krieg führt. Und es muss noch nicht einmal die Ächtung der Weltgemeinschaft oder auch nur der westlichen Wertegemeinschaft fürchten. Doch wäre es für unser aller Sicherheit und Wohlergehen nicht sinnvoller, mehr miteinander und auch mit dem (geo)politischen Gegner zu sprechen, anstatt immer weiter rhetorisch zu eskalieren?

Lasst uns die kommenden Tage und das nächste Jahr nutzen, um wieder mehr einander zu reden und einander zuzuhören, im Kleinen wie im Großen. Ich wünsche uns allen ein friedliches 2020.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Alles Gute zum Geburtstag, Café Kardamom!

eingestellt am 23.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Hasan Dibo vom Café Kardamom. Foto: Philine Schlick

Das Café Kardamom auf der Pfotenhauerstraße wird heute zwei Jahre alt. Das ist eine frohe Botschaft, an die sich eine traurige anschließt: Hasan Dibo und seine Geschäftspartnerin Jana Petzold suchen eine neue Lokalität. “Das Geschäft läuft gut”, sagt Hasan. “Aber nicht sehr gut.” Auf das “sehr” käme es aber an, wenn es auf Dauer reichen soll.

Vor drei Jahren, Anfang 2017, war das Café Kardamom nichts als eine Idee – auf die zwei Menschen jedoch ganz fest setzten und hinarbeiteten. Jana Petzold und Hasan Dibo wollten sie verwirklichen, die Vorstellung von einem orientalischen Baklava-Bistro. “Wir haben uns Geld von Freunden geborgt”, erinnert sich Hasan. “Und dann haben wir angefangen.”

Zwischen fünf und sechs Kilo fassen die eckigen Bleche. Foto: Philine Schlick

Die Suche nach einem geeigneten Lokal gestaltete sich langwierig. In der Neustadt erhielten die beiden Suchenden keine Antwort, in Friedrichstadt wurden sie nicht fündig, am Postplatz machte ihnen – nachdem mit dem Vermieter alles abgesprochen war – der Brandschutz einen Strich durch die Rechnung. Schließlich landeten die beiden in der Johannstadt. “Wir haben zuerst den Brandschutz gefragt, als wir den Raum gefunden haben”, sagt Hasan lachend.

Irgendwo zwischen Bäcker und Konditor

Als auch die Hygiene ihr OK gab, war es plötzlich da, das Café Kardamom. An die drei Monate dauerte allein die Vorbereitung. Für Firmen hatten Hasan und Jana kein Geld, deshalb strich Hasan die Wände, bezog Stühle mit neuem Stoff, baute die Kühltheke ein.

Baklava zu backen hat Hasan in seiner Heimatstadt Aleppo gelernt. Dort ist die Ausbildung nicht institutionalisiert, sondern personenabhängig. Lehrlinge suchen sich ihren Meister*in und “laufen mit”, bis sie das Handwerk erlernt haben. Bei Hasan dauerte es 1,5 Jahre, bis er die Herstellung des knusprig-süßen Gebäcks beherrschte. “Ich bin irgendwo zwischen Bäcker und Konditor”, sagt er. Einmal, berichtet er, hat er einen Baklava-Kurs gegeben. “Aber 15 Treffen sind nicht genug, um alles beizubringen”, sagt er und lächelt.

Das Café Kardamom bietet auch Kaffee und Tee an. Foto: Philine Schlick

Hasan musste aus Syrien fliehen, wegen des Krieges. Mit Dresden hat er die beste Wahl getroffen, findet er. “Ich war in Dortmund, Berlin und Frankfurt. Ich bin froh, in Dresden zu sein.” Auch wenn er feststellen musste, dass die bürokratischen Abläufe hier länger dauern als in jeder anderen sächsischen Stadt. Auf seinen Reisepass musste er ein Jahr warten – in Zwickau hätte das nur vier Wochen gedauert, sagt er.

In der neuen Stadt überlegte er, wovon er zukünftig leben sollte. Er begann eine Bäcker-Ausbildung in Leuben, brach jedoch nach vier Monaten ab, weil der verschobene Schlaf/Wach-Rythmus ihn fertig machte. “Warum nicht machen, was ich kann?”, dachte sich Hasan. In Jana fand er eine Mitstreiterin. Nächste Station: Ein eigenes Café.

Blick ins Innere des Café Kardamom. Foto: Philine Schlick

Gut, aber nicht sehr gut

Der Tag der Eröffnung, der 23. Dezember 2017, war aufregend, die erste Zeit schwer als Baklava-Café im Kuchenland. “Deutsche Kunden kaufen ein Stückchen, arabische kiloweise”, macht Hasan die Dimensionen klar.

Hasan kreiert neben Baklava ein syrisches Eis aus Milch, Mascarpone, Mastix-Pistanzie, Orchideen-Aroma und Butter. Im Angebot des Café Kardamom ist auch ein Mittagsmenü: Eintopf aus Foul-Bohnen zum Beispiel, Suppen mit Käse und Spinat oder gefüllte Weinblätter und Teigtaschen.  “Ich lerne immer dazu”, erzählt Hasan.

Die Geschäfte laufen gut, sagt er. Aber nicht sehr gut. Am Monatsende sei über die laufenden Kosten hinaus nicht viel übrig. Deshalb ist ein Plan für 2020, eine neue Adresse zu suchen, näher zum Zentrum hin.

Zwar sei der Standort Pfotenhauerstraße angenehm ruhig, aber das sei eben auch das Problem. Zu wenig Laufkundschaft macht am Kardamom Halt. Darum bedeutet wohl das neue Jahr einen Aufbruch für das Café – gesetzt den Fall, es findet sich ein geeignetes neues Lokal natürlich.

Café Kardamom

  • Pfotenhauerstraße 67
  • geöffnet Montag bis Samstag 10 bis 20 Uhr, Sonntag und Feiertag 14 bis 18 Uhr
  • www.kardamom-dresden.de

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Der LeihLaden: Waren ohne Preisschild

eingestellt am 19.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Katja Hilbert, Sindy Berndt und Bertil Kalex, der für den LeihLaden die Bewerbung übernimmt. Foto: Philine Schlick

Anfang des Monats ist der LeihLaden ein Jahr alt geworden. Der LeihLaden, das sind Sindy Berndt, Katja Hilbert, etliche Helfer*innen und ein Lager, das just von der Dürerstraße in die Pfotenhauerstraße 66 umgezogen ist. Sein Sortiment umfasst 50 Produkte – vom Dörrautomaten bis zum Moskitonetz.

Als 2018 offenbar wurde, dass das Projekt “LeihLaden” im Rahmen des Zukunftsstadt-Projekts nicht gefördert wird, waren Sindy und Katja schon zu verliebt in die Idee, um sie aufzugeben. “Wir machen das jetzt!”, stand für beide fest. Ohne Fördermittel dann eben in der Low-Budget-Version.

Sehnsucht nach einer Gegenwelt

Doch der Reihe nach: Vor nunmehr sechs Jahren muss es gewesen sein, als Sindy Berndt die Idee durch den Kopf geisterte. “Damals war ich im Veranstaltungsmanagement tätig”, erinnert sie sich. Das bedeutete Kongresse und für diese stets ein neues, schickes Outfit. “Nach einem Kongress gelten schicke Schuhe als abgelaufen. Ich war mittendrin in der Konsumgesellschaft”, sagt Sindy.

Sie sehnte sich nach einer Gegenwelt und erträumte sich einen Laden, in dem die Waren ausgeliehen, nicht verkauft werden. Einen Leihladen! Sie googelte das Wort und stellte fest, dass sie nicht die Erste mit dieser Idee war. In Berlin funktionierte das Konzept bereits. Sie nahm Kontakt auf und tauschte sich aus. Ihr Zutrauen war allerdings gering: “Ich dachte nicht, dass so etwas in Dresden funktioniert.”

Es sollte bis zur “Ladeneröffnung” tatsächlich noch dauern, bis Sindy im Rahmen ihres Studiums auf Katja Hilbert traf. In einem Seminar sollte eine Projektidee entwickelt werden. Nur welche …? Sindy kramte den LeihLaden wieder hervor und beide gingen mit so viel Esprit ans Werk, dass es schließlich nicht zur Debatte stand, die außergewöhnliche Geschäftsidee wieder in einer Schublade verschwinden zu lassen.

Das Team vom LeihLaden. Foto: Philine Schlick

Laden ohne Laden

2018 war es dann so weit: Der LeihLaden entstand, allerdings ohne Ladenfläche. “Wir hatten ein Lager auf der Dürerstraße. Da ich die ganze Woche dort arbeite, konnte ich für den Verleih immer schnell rüberhuschen”, erzählt Katja. Seit vergangener Woche befindet sich das neue Lager im Keller der Pfotenhauerstraße 66, der Adresse des Büros Nachhaltige Johannstadt 2025.  Dort ist in den Hinterräumen auch ein Regal mit Baby-, Koch-, Campingsutensilien und Werkzeug gefüllt.

Das Sortiment umfasst 50 Artikel. Sein Umfang richtet sich auch nach der Nachfrage. “Wir haben auf Facebook eine Umfrage gestartet, was wir noch anschaffen sollen”, erzählen Katja und Sindy. Seither ist der LeihLaden um den im Herbst begehrten Dörrautomaten, einen Glühweinaufbereiter, eine Sofortbildkamera und einen Einmachtopf reicher. Der erste und in seiner Beliebtheit nicht gesunkene Artikel ist eine Heizplatte. Bald folgt eine Lötstation vom Repaircafé.

Wir sind kein Schrottplatz!

Spenden und Ideen sind jederzeit willkommen im LeihLaden, aber: “Wir sind kein Schrottplatz!”, betonen Sindy und Katja. Ihnen liegt das nachhaltige Konzept am Herzen. Gegenstände auszuleihen richtet sich gegen die Konsumflut, spart Platz in den eigenen Räumlichkeiten und schafft Kontakt. Doch dafür müssen diese intakt und gebrauchsfertig sein.

Kaputt kam bislang noch kein Teil zurück – nur eines verspätet, berichten die Gründerinnen. Die Ausleihdauer wird individuell und sinnhaft abgesprochen. “Ein Lauflernwagen muss natürlich nicht nach zwei Wochen wieder hier sein”, sagt Katja lachend. Um für den Wert der Gegenstände zu sensibilisieren, bezahlen Nutzer*innen eine Kaution. Rück- und Übergabe werden dann abgesprochen.

Neben dem Verleih organisieren die Frauen Workshops zum Thema Nachhaltigkeit. Am 2. Februar findet in der JohannStadthalle ein Nachhaltigkeitsnachmittag statt, wo die Herstellung von Bienenwachstüchern, Kerzenziehen aus Wachsresten und ein Stoffwindel-Workshop stattfinden werden. Vom LeihLaden gehen nicht nur Heizplatten, sondern auch weitergegebenes Wissen aus.

Und was ist der größte Geburtstagswunsch? Ein richtiger Laden natürlich, mit Auslage und Schaufenster – und dafür ganz viele Spenden, sagen Sindy und Katja.

LeihLaden

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Frieden muss nicht leise sein

eingestellt am 18.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Wie bestellt fielen zögerlich die ersten Schneeflocken. Foto: Philine Schlick

… das bewies das 5. Fest des Friedens am vergangenen Freitag. Flitzende Kinder, klingende Saiten, ein rappelvolles Café Halva und der erste Auftritt des Dresdner Plattenchores zeigten, dass Besinnlichkeit durchaus vital sein kann.

Ich habe mich gerade von einem Hasen in eine Spinne verwandelt, jetzt greife ich nach den Sternen. Nein, ich habe keine Fieberträume, sondern bin Teilnehmerin einer Klang-Yoga-Runde beim Fest des Friedens des Johannstädter Kulturtreffs.

Die Yoga-Position “Spinne” trainiert auch die Lachmuskeln. Foto: Philine Schlick

Große und kleine Partnerinnen bilden mit verschränkten Händen oder Rücken an Rücken die Tiere in einer erzählten Geschichte nach, dass es wohlig in den Sehnen zieht. Im Anschluss finden wir uns liegend zu einer Traumreise ein, die uns von warmen Licht durchflutet im Tiefschnee versinken lässt. Ein Bild, das sich jeder Braunbär zum Einschlafen wünscht.

Widerstand zwecklos: Das Kuchenbuffet des Café Halva. Foto: Philine Schlick

Das Paradies ist ein interkulturelles Buffet

Apropos Braunbär, ich habe Bärenhunger. Ich breche also aus dem Sportraum ins Café Halva auf, das mit dem prächtigsten Kuchenbuffet seit dem Schlaraffenland kulinarisch den Beweis erbringt, dass das Paradies interkulturell sein muss: Muffins und Sahnekuchen, Früchtchen und Hörnchen kommen auf immer neuen Platten aus der Küche angeschwebt. Das Wunder: Die Kuchenberge werden aufgrund ihrer Zierde so ehrfürchtig behandelt, dass kaum ein Krümel daneben geht.

Das Kurbeltheater bebilderte und vertonte die “Bremer Stadtmusikanten”. Foto: Philine Schlick

Ebenerdig geht es weiter im Seminarraum I, wo das Kurbeltheater die Bremer Stadtmusikanten zeigt. Auf eine seidene Stoffbahn gemalte Bilder illustrieren das Grimm’sche Märchen. Sie ziehen über eine Walze in einem hölzernen Kasten vorüber – ein Kinoerlebnis der besonderen Art. Der Sitzsack unter mir hat noch größeren Hunger als ich, und um nicht im Halbdunkeln in ihm zu versinken, lasse ich die vier Tiere nach Bremen ziehen und bewege mich selbst in die obere Etage.

Vor dem Kuschel-Kamin-Zimmer des Kindertreffs JoJo diskutieren drei Jungen, ob das hinter der Tür cool oder was für Babys ist. Nachdem ich nachgeschaut habe, komme ich zu dem Schluss, dass beides zutrifft. Die Jungen vor der Tür sind mittlerweile zu einer Einigung gekommen: Das Zimmer mit dem Kaminfeuer auf dem Flachbildschirm ist für Babys, aber das JoJo ist cool. Sie stürmen auf Socken davon.

Johannes Gerstengarbe beim Gitarrenspiel. Foto: Philine Schlick

Singende, klingende Platte

Aus dem Veranstaltungsraum klingt Musik. Johannes Gerstengarbe entlockt seiner Gitarre verträumte Töne, bevor sich Viktor und Friedrich die Bühne für den Sketch “Welche Feinde hat Deutschland?” erobern. Für dessen Verständlichkeit wäre der Verzicht auf das Textbuch zuträglich gewesen. So bleibt die Antwort auf die Frage, die der Beitragstitel stellt, für mich offen. Aber das ist in diesem Fall durchaus tröstlich.

Die Bühne wird frei für den internationalen Kinderchor.

Weihnachtsbeleuchtung an Johannstädter Balkonen. Foto: Philine Schlick

Ein Blick aus dem Fenster rückt durch die herab gesunkene Dunkelheit die nächsten Hauptakteure ins richtige Licht: Die bunt leuchtenden Johannstädter Balkone. Der Dresdner Plattenchor hat ab 17 Uhr alle Gäste in den Innenhof zum gemeinschaftlichen Singen eingeladen. Nächste Nachbarn können ihr Organ vom heimatlichen Balkon aus erschallen lassen – eine famose Idee!

Mich tragen die ersten Klänge auf dem Fahrrad davon, zur nächsten Station. Aber die liegt nicht auf der Elisenstraße. Hektik? Ach nö, Advent!

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Drewag-Bauarbeiten Blumenstraße: Sperrung noch bis Freitag

eingestellt am 17.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Bagger ohne Personal auf der Blumenstraße. Foto: Philine Schlick

Seit dem 9. Dezember ist die Blumenstraße an der Kreuzung Gutenbergstraße halbseitig gesperrt. Grund dafür sind Bauarbeiten der Drewag Netz. Diese führt unterirdische Kontrollen eines Fernwärmekanals durch, die bis zum 13. Dezember behoben worden sind.

Noch ist der Bauzaun vorhanden und auch der kleine Bagger ist noch am Platz. Das Loch ist schon zugeschüttet, die Pflastersteine noch nicht eingesetzt. Auf Nachfrage gab die Drewag an, die Wiederherstellung der Oberfläche solle bis zum 20. Dezember andauern.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Verdienste im hundertjährigen Verein: Nachruf für Bernd Hartwig im SSV Turbine

eingestellt am 17.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Bernd Hartwig als Nachwuchsleiter des SSV Turbine e.V. (Quelle: Anja Hilgert)

Gastbeitrag von Anja Hilgert.

Als Ende vergangenen Monats einer der großen, engagierten Wegbereiter und langjährigen Freunde und Förderer des SSV Turbine e.V. verstorben ist, gab dies den Anlass, einerseits einen Nachruf zu verfassen für Bernd Hartwig, Nachwuchsleiter, Organisator, Hauptverantwortlicher, Netzwerker und Ehrenmitglied des SSV Turbine e.V. , der doch zu plötzlich nun nicht mehr da ist, und damit andererseits das Augenmerk zu richten auf den unvergleichlichen Quartiersbeitrag des SSV Turbine e.V. als größtem aktiven Sportverein in der Johannstadt.

Die in eigener Chronik herausgegebene Vereinsgeschichte des SSV Turbine e.V. liest sich als spannendes Zeugnis zu hundert Jahren bewegter Geschichte im Stadtteil. Aus der Perspektive gegenwärtiger Stadt(teil)entwicklung ist es interessant, die Gestaltung sozialen Lebens über den Vereins-Sport würdigend zu betrachten.

Seit 1951 geführtes Vereinswappen des SSV Turbine Dresden e.V. Quelle: SSV Turbine

Turbine bringt die Johannstadt auf Touren

„Der SSV Turbine e.V. war immer schon ein Mehrsparten- und ein Freizeitsportverein“, betont Harald Werner, langjähriger Abteilungsleiter für Fußball, der mit Bernd Hartwig zusammen über 26 Jahre lang die Vereinsspitze bekleidete. Heute zählt Turbine 764 Mitglieder, davon 730 aktive in sechs sportlichen Disziplinen, wovon Kinder und Jugendliche 32 Prozent Anteil im Verein einnehmen. Fußball ist mit 60 Prozent die größte Abteilung: „Turbine ist das sportliche Fußballzentrum der Johannstadt“, bringt es Harald Werner auf den Punkt.

Dresdner Traditionsverein seit der Jahrhundertwende

Die Johannstadt, die weder Arbeiterviertel, noch Wohlstandsviertel, sondern geplantes Wohnviertel mit vielen heterogenen Facetten und multikulturellem Gefüge ist, braucht Ankerpunkte wie den SSV Turbine, die sich langjährig vor Ort etabliert haben.

Turbine als Dresdner Traditionsverein in der Johannstadt geht in seinen Anfängen zurück bis in die Zeit der Jahrhundertwende. Damit darf man die Formulierung wagen: Die Wiege für Dresden als Fußballhochburg wurde aufgestellt in der Johannstadt. Insofern spielt man heute selbstbewusst in den leuchtenden Vereinsfarben blau-weiß unter dem energiegeladenen Vereins-Wappen blitzzuckender Kraftumsetzung.

Im Jahr 1902 als Dresdner Sportverein GutsMuts gegründet, entwickelte sich die junge Initiative nach dem Ersten Weltkrieg zum größten Sportverein Sachsens mit etwa 1500 Mitgliedern in zwölf sportlichen Abteilungen, zu denen auch Hockey, Tennis, Turnen und Paddeln zählte.

In dieser Blüte-Zeit wurden in der Johannstadt auch internationale Fußballkämpfe ausgetragen wie gegen die Ägyptische Olympiaauswahl und Galatasray Konstantinopel. Unglaublich genug, dass solch großen Ereignisse einst den Platz zierten und dem Verein im Rücken stehen, der in der nördlichen Johannstadt, neben Kleingartensparte und unweit den Elbwiesen, in durchlüfteter Randlage und doch im Verkehrsknoten an der Waldschlösschenbrücke zentral und gut erreichbar gelegen ist.

Das seit 1912 durch den erstgegründeten Fußballverein in der Johannstadt genutzte Gelände auf der Fläche Ecke Neubert/Pfotenhauerstraße geht zurück auf die ehemalige alte Radrennbahn an der Pfotenhauerstraße.

Der damals angelegte Hartplatz blieb über lange Zeit Spielfläche, auch dann noch, als andere Vereine in der Stadt schon längst Kunstrasen hatten. Die Spieler hielten dem Verein dennoch die Treue und standen die wortwörtlichen Härtezeiten durch, was nicht zuletzt der umsichtigen und nachhaltigen Vereinsführung zugute zu halten und damit ein Zeichen für starke verlässliche Vereinsbindung ist. Der Umbau kam 2009 mit aufwändig neu verlegtem Kunstrasen und modernen Sportgebäuden, in denen Tischtennisräume, Umkleidekabinen mit großzügigen Mannschaftsduschräumen sowie das neue Sportcasino mit Kiosk je nach Klientel wechselnd wichtige Rollen spielen und auch anzumieten sind.

Sportplatz, der zu Tages- und Nachtzeiten an allen Wochentagen bespielt wird. Quelle: SSV Turbine Dresden e.V.

Vereinsleben als Chefsache des Stadtbezirks

Im Jahr 1945 kam es zur Neugründung des SG Johannstadt nach dem drastischen Einschnitt der Kriegsjahre. Zu der Zeit waren nicht mehr Vereine die Träger des Sports, sondern die neu gegründeten Stadtbezirke. Als 374. Bezirk Johannstadt erstarkte der Fußballverein und zeichnete Erfolge als Pokalsieger, bei der Stadtmeisterschaft, der Stadt-Bezirksklasse, (Bezirks)Liga- und Kreismeisterschaft sowie als „Ostzonen-Meister“ und Fußball-Städtekampfsieger, die „Knaben-Meisterschaften“ nicht zu vergessen.

Mit dem Jahr 1949 wurde das „Gebiet der Körperkultur und des Sports“ neu erschlossen und erhielt neue Organisationsstrukturen. Die „Sportfreunde und Sportfreundinnen“ vereinten sich im Kommunalen Wirtschafts Unternehmen, KWU Dresden. Neben Fußball und Abteilungen wie Eishockey, Wasserball, Langlauf ging nicht zuletzt eine Schach-Großmeisterin in die Vereinsgeschichte ein.

„Was geht ab wie eine Maschine? Turbine, T u r b i n e, TURBINE!“

Der hitzige Ruf schallt wie aus einer Kehle über den Platz, aus der Mitte vorgebeugter, sich im Kreis berührender Köpfe von heutigen Nachwuchsteams. Die namengebende Gründung der Betriebssportgemeinschaft BSG Turbine Dresden erfolgte 1951 in der Zeit der Energien, Chemien, Rotationen, von Dynamos, Lokomotiven und Turbinen: Die Politik gab dem Sport Auftrieb. Das auf der Pfotenhauerstraße eingeweihte Stadion wurde nach dem von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer Karl Stein benannt.

Vor gut 50 Jahren, am 7. Juli 1963, wurde im Karl-Stein-Stadion gegen Chemie Pirna mit einem 1:0 Sieg der Aufstieg in die Bezirksliga errungen. Dieses Spiel sahen legendäre 1000 Zuschauer! Heute spielt die 1. Männer-Mannschaft die 10. Saison in der Bezirksklasse.

Um Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Werktätigen zu fördern, sorgte die Entwicklungskonzeption des Energiekombinates Ost als Trägerbetrieb im Stadtbezirk Johannstadt für den Ausbau des Freizeit- und Erholungssports: Die BSG Turbine Dresden organisierte Sportfeste auf allen Ebenen. Durch die intensivierte Zusammenarbeit von Deutscher Sportbund (BRD) und Deutscher Sportausschuss (DDR) wurden sportliche Aktivitäten über die innerdeutsche Zonengrenze hinaus gefördert. Somit konnten auf Vereinsebene Begegnungen über politische Grenzen hinweg stattfinden.

Spielsaison für Ehrenamt und Nachwuchsförderung

Im organisierten Fußball auf Vereinsebene geht es immer auch um Trainings-Erfolge, Saisonergebnisse, um vordere Plätze, Ehrungen, Siegertreppchen, Pokalsiege, Meisterschaften. Manches klimpernde Bündel an Medaillen ist der Stolz im Kinderzimmer, und wer den Pokal mit nach Hause nehmen darf, ist König.

Als es nach dem Mauerfall 1990 zur nochmaligen Vereinsneugründung kam, legten die Vorsitzenden Gewicht auf Erhalt und Förderung der Freude am Sport-Spielen, nannten in diesem Sinne die Vereinigung Spielsportverein SSV Turbine Dresden.

Das fleißige Maskottchen. Quelle: SSV Turbine

Auf dem Platz wird gekämpft und gespielt, gewetteifert, geweint und gejubelt. Den Emotionen ist beim Fußballspielen freier Raum gegeben. Im aktiven Spielbetrieb befinden sich bei Turbine derzeit sechs Männermannschaften und 12 Nachwuchsmannschaften, die Bandbreite reicht von A (U19)-B (U17)-C (U15)-D (U12 u U13)-E (U11 u U10)-F (U8 u U9)-G (U7)-Jugend über 1./2./3. Männer bis zu Senioren und zwei Freizeitmannschaften, die auf Klein- und Großfeld, auf dem Platz und in der Halle trainieren, spielen, einander treffen und an Turnieren und Meisterschaften teilnehmen.

Aus dem bescheidenen Rahmen der Anfangsjahre auf der Pfotenhauerstraße ist in der Dresdner Johannstadt eine beeindruckende Geschichte des Sporttreibens, insbesondere des Fußballspielens, und eine ausgeprägte Kinder- und Jugendarbeit gewachsen.

Puzzlestein Bernd Hartwig

Als Bernd Hartwig, selbst als Neustadtkind aufgewachsen, in den 80er Jahren in die neuen Bauten auf der Pfotenhauerstraße umgezogen war, begann er gleich, sich ins Viertel zu integrieren und legte durch seinen Beitritt zum Verein den Grundstein seines über 40Jahre gewachsenen Engagements vor allem für den Vereinsnachwuchs und die Trainerfortbildung.

Bernd Hartwig im Gehen. Quelle: Anja Hilgert

Über Bernd Hartwig zu reden, heißt, über viele andere auch zu reden, die Teil des großen Puzzles sind. Schließlich wird der gesamte Trainingsbetrieb rein durch Ehrenamtliche abgesichert: „Wir haben rund 40 Trainer und davon 21 Trainer mit Lizenz. Schiedsrichter sind immer Mangelware. Wir erfüllen aber die Vorgaben der Verbände. Bei den Mannschaftsleitern ist es so, dass viele Eltern eingebunden sind“, meldet der Vorstandsvorsitzende Maik Diersche. Die Mitnahme und gute Betreuung der Elternschaft ist ein lebendiges Kernstück der Vereinsphilosophie: „Das Innere muss funktionieren und das ist der soziale Zusammenhalt, die gegenseitige Unterstützung.“ Eine starke Basis, die breit aufgestellt die klare Pyramide des Vereins trägt, sei das Erfolgsrezept.

„Hier wachse ich mit hinein“

Wenn der Verein als gewachsene Einheit neu dazu Kommenden das Gefühl geben kann, in ein Gebilde mit hineinzuwachsen, dann funktioniert Integration: „Hier wachse ich mit hinein“, formuliert Harald Werner die Signalwirkung, die er besonders für die Migration der Kinder im Blick hat.
Im Verein wird das nicht an die große Glocke gehängt, dass verschiedene Nationalitäten unter blau-weiß spielen, dass auch die Trainerschaft international aufgestellt ist. Dem Alleinstellungsmerkmal als einzigem Sportverein in Johannstadt gerecht zu werden, sei eine Riesenaufgabe, der man sich bewusst sei.

Sportplatz, der zu Tages- und Nachtzeiten an allen Wochentagen bespielt wird. Quelle: SSV Turbine Dresden e.V.

Maik Diersche klingt bescheiden: „In wie weit die SSV Turbine Dresden für Johannstadt wichtig ist, müssen andere beurteilen. Andererseits haben wir viele Migranten im Verein. Ich denke das wir für die Integration für Johannstadt schon wichtig sind.“

Allmählich mit Ende des Jahres gehen die Mannschaften in die Trainings- und auch Spielpause, Ruhe kehrt ein. Die tragenden Verbindungen werden entlastet, und es entsteht Raum für Neues.

Die Sonderausgabe des Turbine-Kickers “100 Jahre Sport in der Johannstadt”, von Ehrenmitglied Lothar Döhler als Vereinschronik verfasst, kann als Broschüre im Sportcasino oder in der Geschäftsstelle des SSV Turbine Dresden e.V.  erworben werden.

1. Weihnachtssingen 2019

  • Der SSV Turbine lädt am 21. Dezember zum 1. Weihnachtssingen ins Stadion Pfotenhauerstraße ein
  • Einlass 17 Uhr, Beginn 18 Uhr
  • Tickets im Vorverkauf 5 Euro (Erwachsene) / 2,50 Euro (Kinder) bzw. an der Abendkasse 7 Euro / 4,50 Euro
  • Es gibt groovige Adventslieder von Gospelstreet

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.

Fair klicken: Die selbst verlötete Zuckerrohrmaus

eingestellt am 14.12.2019 von Philine Schlick, Headerbild: Mein ganzer Stolz: Eine selbst gebaute faire PC-Maus. Foto: Philine Schlick

Der Advent ist nicht nur die Zeit der inneren Einkehr, sondern auch der technischen Herausforderungen. Pyramiden-Konstruktion, Beleuchtungs-Installation, Lebkuchenhaus-Errichtung: Alles kein Zuckerschlecken. Mein persönliches Feinmototrik-Erlebnis ist das 12. Türchen des Johannstädter Adventskalenders. Die selbstgebaute Computer-Maus!

Beim Löten ist Fingerspitzengefühl gefragt. Foto: Philine Schlick

Im Büro des Projektes “Nachhaltige Johannstadt 2025” (kurz: NaJo 2025) rauchen an diesem Abend nicht die Köpfe, sondern Lötkolben. Kleine Dampfwölkchen steigen auf und kriechen in gerümpfte Nasen. Es riecht nach Opas Eisenbahnplatte. “Hat jemand die Lupe gesehen? Kann ich noch mehr Lötzinn haben? Wie herum muss ich die LED anlöten?” Der Hinterraum des Büros hat sich in eine Elektrowerkstatt verwandelt.

Heimeliges Löten im Advent. Foto: Philine Schlick

Mehr Smartphones als Menschen

Unser Anleiter heißt Thomas Peterberns und ist Maschinenbauingenieur. Die PC-Maus, die wir heute aus einem Bausatz der Firma Nager IT zusammenbauen werden, ist zu zwei Dritteln fair. “Die haben wirklich Pionierarbeit geleistet seit der Gründung 2009”, sagt Thomas. Das fehlende Drittel Fairness ist den unaufgeschlüsselten Lieferketten geschuldet. Thomas erklärt es am Beispiel Smartphone, von denen es mittlerweile 7,5 Milliarden auf der Welt gibt. Mehr als Menschen.

Eine der Lötstationen geht im Anschluss an den Workshop an den LeihLaden über. Foto: Philine Schlick

Damit weltweit Finger über immer neue Mobiltelefone gleiten, atmen in China Fließbandarbeiter bis zu 80 Stunden pro Woche giftige Dämpfe ein, schuften im Kongo Kinder in Kobaltminen, sterben vor der indonesischen Küste Korallenriffe. Eigentlich verbieten Verträge großen Abnehmern, Rohstoffe wie Gold, seltene Erden, Lithium, Kupfer, Aluminium, Silicium aus “Konfliktregionen” zu beziehen. Den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und den fatalen Umweltverschmutzungen wird damit kein Riegel vorgeschoben.

Im Gegenteil: Der Schmuggel gedeiht. Offiziell kommt Kobalt dann eben aus Nigeria …. Einsichtbare Lieferketten schützen Menschen und Umwelt vor Ausbeutung. Diese aufzudröseln erfordert einen langen Atem und viel Kooperation. Nager IT haben mit zwei Dritteln also schon einiges bewegt, urteilt Thomas.

Fairness durch Transparenz

Thomas hat sich mit dem Thema beschäftigt und umgedacht. Er ist nicht der einzige. Das bayrische Unternehmen Nager IT stellt PC-Mäuse her, deren Gehäuse aus Zuckerrohr besteht. Mit transparenten Lieferwegen nehmen sie Anbieter in die Verantwortung und sorgen so für fairere Produktionsbedingungen. Ebenso wie die Hersteller von Fairphone liefern sie Ersatzteile und Bauanleitungen und sorgen damit für Nachhaltigkeit, weil die Geräte leichter vom Verbraucher repariert werden können.

Thomas schaut den Teilnehmer*innen helfend über die Schulter. Foto: Philine Schlick

Das zweite Verbrechen nach der Gewinnung der Rohstoffe ist nämlich der Umgang mit Elektroschrott. Der landet zu 76 Prozent in China, Ghana, Indien oder Brasilien, wo er von den ärmsten der Armen mit archaischen Methoden wieder in seine wertvollen Einzelteile zerlegt und verschachert wird. In Deutschland fallen pro Kopf rund 23 Kilo Elektroschrott pro Jahr an.

"Die dritte Hand" hilft hitzeunempfindlich. Foto: Philine Schlick
“Die dritte Hand” hilft hitzeunempfindlich. Foto: Philine Schlick

Eine Maus ist eine Maus, aber ein Anfang. Die Polizei in Niedersachsen, weiß Thomas zu berichten, bestellte 20.000 Stück in der Farbe schwarz. Wir können beim Workshop zwischen verschiedenen rot-schwarz-Kombinationen unterscheiden.

So ein Lötzinn!

Die Frage der Fragen lautet “Hast du schon mal gelötet?” Die stellt Thomas nach dem einleitenden Vortrag. Einige heben die Hand, die anderen sind schon ganz kribbelig. Die Motivation zur fairen PC-Maus ist deutlich zu spüren. Das Lötzinn liegt bereit, ebenso “die dritte Hand” – eine Halterung mit zwei Klemmen -, die Lötstationen sind angeschaltet. Jetzt geht’s löt!

Du musst doch nur den Nippel durch die Lasche zieh’n … Foto: Philine Schlick

An einer Modellplatine dürfen wir, die sechs Teilnehmer*innen, Probe-Löten. Die Platine ist zusammengebastelt aus Elektroschrottteilen, die aus Werkstätten der Lebenshilfe stammen. Dort wurden sie aus anderen Geräten ausgebaut. “Zwei Mikrochips, vier LEDs, zwei Quarze”, bestimmt Bastler Eric. Für mich sieht das aus wie ein winziges Siedler-Spielbrett.

Die Übungsplatine. Foto: Philine Schlick

Das Lötzinn der Marke Stannol – ein im Sinne der transparenten Lieferkette faires Produkt – schmilzt auf der Spitze des Lötkolbens, der an den zu verlötenden Draht gepresst wird. Von der anderen Seite hält das Lötzinn dagegen und mit Geschick – schwupp! – fließt eine winzige Silber-Lache in das Löchlein auf der Platine und erkaltet glänzend.

“Das klickt sich super!”

Mit einer Bauanleitung, Thomas und den zwei studierten Helferlein Friedrich und Matthias löten sich Giacomo, der Mäusesammler, Eric, der Hobbyreparateur und seine interessierte Begleitung Jenny, Tobias, die Lötstation, Luise, die Bühnenbildnerin und ich auf der Jagd nach “positiven Erlebnissen mit Technik” (und Weihnachtsgeschenken) durch den Abend, regelmäßig unterbrochen vom Ploppen der Entlötungs-Pumpe.

Fertig zum ersten Funktionstest! Foto: Philine Schlick

Doch am Ende winkt das Erfolgserlebnis: Die ersten Mäuse huschen über den PC-Bildschirm. Letzte Korrekturen, doch letztendlich klappt es. “Das klickt sich super!” Alle Teilnehmer*innen verewigen sich mit mit dem Malprogramm auf dem Bildschirm. Heureka-Stimmung macht sich breit. Nach Hause nehme ich nicht nur eine Maus, sondern auch einen anderen Blick auf Technik und Nachhaltigkeit.

Interesse an weniger Schrott? Hier geht es zum RepairCafé.

Filmtipp: Welcome to Sodom

Der diesjährige Adventskalenderbeitrag des Vereins “Willkommen in Johannstadt e.V.“, wurde in Kooperation mit NaJo 2025 organisiert und über den Stadtteilfonds Johannstadt unterstützt.

Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.