Die Zukunft kommt an – Rückblick auf die Infoveranstaltung “Soziale Stadt”

eingestellt am 01.02.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Es durfte in die Zukunft geträumt werden beim Johannstadtforum im Januar 2020. Foto: Anja Hilgert

Beitrag von Anja Hilgert

Wenn überwältigend zahlreich Stadtplanquadrate, Aufrisse und hochformatige Mehrfarbendrucke professionell präsentiert werden und den Ausbau eines Stadtviertels bis in konkrete Details skizzieren, ist vom langen Arm der Stadt bereits reichlich Vorarbeit geleistet worden. So kann der Eindruck entstehen, mit visionärer Wucht und Vehemenz stünde wie mit einem Mal das Neue direkt vor der Haustüre. Die Fakten und Ansätze wurden lebhaft diskutiert bei der Informationsveranstaltung “Soziale Stadt Nördliche Johannstadt” am 25.1.2020.

Es wird konkret

Manche Bewohner*innen des beplanten Viertels merken von der neuen Entwicklung erst etwas, wenn der Kran über der Baugrube schwingt. Viele wissen nicht darum, dass ihr alltäglich erfahrenes Lebensumfeld in den Augen von Stadtplanungsamt und Stadtrat sowohl für förderbedürftig, als auch für förderwürdig befunden wird. Und wieder andere, die mit stärkerem Bezug zum Viertel leben, haben vielleicht eine vage Vorstellung von dem, was an Veränderung im Kommen ist.

Klar umrissen: Umgestaltungspläne für die Nördliche Johannstadt. Foto: Anja Hilgert

Vor Ort wird es jetzt konkret. Entwicklung findet bereits statt, die entscheidende Frage ist, wie man so viele Menschen wie möglich erreicht und zur Beteiligung anregt. In der Nördlichen Johannstadt wird die Zukunft im Laufe der nächsten vier Jahre mit besten Mitteln von Stadt und Land so gestaltet, dass sie in der Tat stattfinden kann. Genau genommen setzte sie am vergangenen Montag mit einem Spatenstich auf dem Trinitatiskirchgelände bereits an.

Kritikpunkte Aldi-Bäume & Parkplätze

Von Beginn an herrschte bei der Informationsveranstaltung unter den mehr als 100 Anwesenden Anspannung im Saal. Mitgebrachter Unmut, aufgebaute Fronten, Neugierde, Unverständnis und Widerstand gaben eine potente Mischung ab.

Repräsentativ für die Bevölkerungsentwicklung im Viertel waren gut 50 Prozent der Besucher*innen um und über 60, viele sind Bewohner*innen der umliegenden Plattenbauten und Wohnhöfe.

Reger Austausch unter Bürger*innen an den Stellwänden. Foto: Anja Hilgert

Ein straff moderierter Zeitplan baute aus elf Projektpräsentationen einen Spannungsbogen, in dem sich Neuerung an Neuerung reihte. Dem Staunen waren keine Grenzen gesetzt, doch nicht alle nahmen die Informationen mit interessiertem Vergnügen auf.

Die Fällung von selbst gepflanzten Baumreihen im Bebauungsareal von Aldi der Pfeifferhannsstraße lag wie ein Stigma auf der Veranstaltung, an dem die Diskussion sich immer wieder entzündete.

Frau Ostermeyer vom Stadtplanungsamt gibt Auskunft. Foto: Anja Hilgert

An die Vorträge anschließende Fragen waren befindlich gestimmt, furchten  der Nachfrage nach angestammten Parkplätzen und Tiefgarageneinfahrten die Bahn, sodass kaum konstruktiv mit alternativen (Denk)Wegen geantwortet werden konnte. Die Hoffnung auf mehr Gesprächskultur musste sich an die Infostände der einzelnen Redner*innen verlagern, die in Menschentrauben dann auch rege aufgesucht wurden.

Probleme treffen auf Projektideen

Von den einen notgedrungen als spannungs- und konfliktreich empfunden, werden die Herausforderungen, vor die der gesellschaftliche Strukturwandel uns stellt, von anderen als Aufruf verstanden, ins Handeln zu kommen.

2014 hat der Stadtrat einen Teil der Nördlichen Johannstadt als Fördergebiet Soziale Stadt festgelegt. Hier, in attraktiver Lage am dicht bebauten Rand der Innenstadt, kommen die Widersprüche und Unvereinbarkeiten der im Umbau befindlichen Gesellschaft besonders deutlich zum Ausdruck.

Neue Vernetzung in der ehem. Schokofabrik: Stand des Integrierten Familienzentrums mit Frau Heubner-Christa vom Deutschen Kinderschutzbund OV Dresden und Architekt Alexander Poetzsch. Foto: Anja Hilgert

Im Zuge städtebaulicher Entwicklungen und infrastruktureller Versäumnisse seit den 1990er Jahren hat der Stadtteil mit Dresdens drittgrößter Großwohnsiedlung nach Prohlis und Gorbitz eine Abwertung erfahren, die sich in mangelhafter, verödeter Bausubstanz, Defiziten der Infrastruktur und einer Verwahrlosung im öffentlichen Raum niederschlägt.

Herr Samuelsson vom Stadtplaungsamt beantwortet Fragen. Foto: Anja Hilgert

Daraus resultiert eine sozial prekäre Lage. Die Quote an einkommenschwachen und sozial benachteiligten Haushalten sowie der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt innerstädtisch überdurchschnittlich hoch. Probleme wie fehlende soziale Teilhabe, mangelnder Zugang zu Bildung und Kultur, Segregation, Anonymität, Altersarmut, Lärm, Schmutz, Vandalismus, Drogen, Jugendkriminalität zeigen den besonderen Entwicklungsbedarf des Quartiers an.

Besonderes Augenmerk auf Kindern und Jugendlichen

Diese Diagnose ist der Schlüssel zum 2017 verabschiedeten Entwicklungskonzept „Soziale Stadt Nördliche Johannstadt“, mit dem eine Steigerung der Lebensqualität für alle Bewohnergruppen angestrebt wird.

Abschlussplädoyer des Quartiersmanagers Nördliche Johannstadt, Matthias Kunert, mit Vertretern des Stadtplanungsamtes, Foto: Anja Hilgert

Rund 15 Millionen Euro fließen bis 2024 in das Gebiet und werden ausgeschüttet auf die sich nun konkretisierenden Bauvorhaben und Projekte, die in der Informationsveranstaltung vorgestellt wurden und unter diesem Link einzusehen und nachzulesen sind. Schwerpunkte bildeten die Neubauten des Integrierten Familienzentrums des Deutschen Kinderschutzbundes und des Stadtteilhauses Johannstadt sowie der Umbau der Trinitatiskirchruine zur Jugendkirche. Alle drei modernen Gebäude sind nach unterschiedlichen Gesichtspunkten und mit vielseitigen partizipativen Angeboten als offene Häuser und Orte der Begegnung geplant, die allen Stadtteilbewohner*innen offen stehen. Sie wollen zur Identität der Johannstadt beitragen.
Sie haben jeweils zum Ziel, die Wirksamkeit bestehender Dienste zu vergrößern und sozialen Einrichtungen Räume zur Verfügung stellen, um ihren Adressatenkreis zu erweitern, mehr Menschen aktiv einzubinden und Möglichkeiten für Kontakt, Begegnung, gemeinsame Aktivitäten und Veranstaltungen zu schaffen.

Schüler*innen der Boss Meal-Schüleraktiengesellschaft der 101. Oberschule sorgten für einen Imbiss. Foto: Anja Hilgert

Ein besonderes Augenmerk aller Projektpartner*innen liegt auf der Erhöhung der Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen, insbesondere aus finanziell und sozial benachteiligten Familien, denn in ihnen wächst die kommende Generation, die eine positive Gestaltung unserer Gesellschaft fortsetzen kann. Insofern absolut erfreulich hervorzuheben ist, dass Schüler*innen der BOSS MEAL-Schüleraktiengesellschaft der 101. Oberschule das Catering übernahmen und die Teilnehmenden mit erfrischenden Getränken, Früchten und kleinen Speisen versorgten.

Jetzt wird gebaut – eine Übersicht

  • Umgestaltung des Bönischplatzes (Baubeginn März 2020) für eine Aufwertung des Öffentlichen Raums an der Verkehrsader des Viertels, Pfotenhauerstraße mit Buslinie 62: Anwohner*innen reklamierten die wunschgemäße Umsetzung eines Trinkbrunnens. Für den Ersatz der wegfallenden 40-50 Parkplätze prüft die Stadt den Bau eines Parkhauses.
  • Ersatzneubau der Turnhalle 102. Grundschule „Johanna“ (2021/2022) als Einfelder-Sporthalle, die auch von bestehenden Vereinen genutzt werden kann: Anwohner*innen des angrenzenden Wohnblocks wünschten aus Gründen des Lärmschutzes eine Verlegung des Schulspielhofes auf die Schulgebäuderückseite, anstatt nach vorn zur Pfotenhauerstraße
  • Umgestaltung der ehemaligen Stephanienstraße (2021/2022) als begrünte, im Einzelnen noch gestaltbare und vielleicht gemeinschaftlich pflanzbare Allee, erschließt die Einbindung des Umfelds ehemaliges Plattenwerk. Bedauert wird der Wegfall der Aktionsfläche auf der Brache, die als Rodelhang, als Skaterfläche, als Bikeparcours, für Picknicke und Feste frei genutzt wurde, mit dem Impuls, private Grundstückseigentümer möglichst einzubeziehen in die Stadtteilneuerung. Senior*innen betonten Erholungsqualität und Ruheanspruch im Quartier, die das erholsame grüne Band der Elbwiesen allein nicht für alle abfangen kann.
  • Zur Jugendkirche umgebaute Trinitatiskirche (2020/2021): Während der gesamten Bauphase soll Transparenz herrschen, so gibt es online Bilder einer Webcam von der Baustelle und die Einladung zum Fest zum Baubeginn am 28. März. Eine engagierte Wortmeldung betonte die generationsübergreifende Verbundenheit im Stadtbezirk mit der Trinitatiskirche unter deren angestammtem Namen, der identitätsstiftend wirke. Der Wunsch, dies bei der Namensgebung der zukünftigen Jugendkirche zu bedenken, erhielt viel Beifall.
  • Umbau und Sanierung der ehem. Schokofabrik zum Integrierten Familienzentrum des Deutschen Kinderschutzbunds OV Dresden e.V. (2021/2022): für das innovative Gebäude verbleibt der ehemalige Fabrikschornstein als markantes Signal mit Wiedererkennungswert in den Stadtteil.
  • Neubau des Stadtteilhauses als Ersatzneubau für die angestammte Institution des Johannstädter Kulturtreffs sowie die Angebote des Ausländerrats und des Kindertreffs JoJo, verbunden mit der Neugestaltung des Bönischgartens mit integriertem Spielplatz sowie der ehemaligen Blumenstraße (2022/2024). Für den Ersatz der wegfallenden PKW-Stellplätze wird aus der Anwohnerschaft der Bau einer zweietagigen Tiefgarage unter dem Stadtteilhaus angeregt – ein Anliegen, dass das Stadtplanungsamt zur Prüfung mitnimmt.
  • Mit Interesse wurde auch das ebenfalls vorgestellte private Wohnungsbauvorhaben der FLÜWO-Bauen Wohnen eG zwischen Käthe-Kollwitz-Ufer und Florian-Geyer-Straße wahrgenommen, das in diesem Jahr mit der Errichtung von 120 1-5-Zimmerwohnungen am Käthe-Kollwitz-Ufer beginnt.
Hinweis der Redaktion: Der im Rahmen des Projektes „Online-Stadtteilmagazin“ erschienene Beitrag wurde nicht von der Landeshauptstadt Dresden bzw. dem Quartiersmanagement erstellt und gibt auch nicht die Meinung der Landeshauptstadt Dresden oder des Quartiersmanagements wieder. Für den Inhalt des Beitrags ist der/die Autor*in verantwortlich.Die Veranstaltungsdokumentation des Quartiersmanagements sowie alle Präsentationen der Veranstaltung finden Sie hier zum Download.

Impressionen vom Johannstadtforum am 28.09.2019

eingestellt am 15.10.2019 von Matthias Kunert (QM Johannstadt)

[Beitrag von Philine Schlick / Fotos: Cathleen Passin]

Auch Tage, an denen die Sonne scheint, können schwarz sein. Utopie fühlt sich dann an wie Gliederschmerzen und von Idealismus bekommt man Migräne. Man schaut in die Röhre und sieht die Welt im Eimer liegen. Aufs JohannstadtForum gehen – bringt das überhaupt was?

Ohne Wenn und Aber

An die 100 Menschen haben sich im Foyer des Bertold-Brecht-Gymnasiums an diesem sonnigen Samstag zusammengefunden. Stimmen hallen durch die Schulräume, es gibt Kaffee, Tee, Obst und Kuchen. Auf einer Wäscheleine reiht sich Plakat an Plakat – Lastenräder, Tauschschränke, Hochbeete, Bäume statt Parkplätze, ein Fahrradwegkonzept, sichere Fußgängerquerungen, ein Wochenmarkt auf dem Bönischplatz, eine Quartierskantine … Das sind ja alles tolle Ideen, aber … Da ist es wieder. Das Aber im Kopf. Wir könnten versuchen, es einfach wegzulassen. Dann steht hier dieser Satz: Das sind ja alles tolle Ideen!

Sie wurden von Bürger*innen entwickelt, die gern in der Johannstadt leben. Sie können sich ihr Umfeld freundlicher, geselliger, nachhaltiger und grüner vorstellen und sind bereit, sich dafür zu engagieren. Auf dem JohannstadtForum werden sie präsentiert: Die Träume der Macher*innen aus der Johannstadt, die sich nicht von einem Aber schrecken lassen, sondern nach dem Wie suchen. Das Beste: Geld für die Umsetzung dieser Ideen ist dank Stadtteilfonds und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit da. Es muss nur eingesetzt werden.

„Verändern dort, wo ich verändern kann“

Die Menschheit steht im 21. Jahrhundert vor großen Herausforderungen. Globalisierung und Ressourcenknappheit, Digitalisierung und soziale Ungerechtigkeit, Verstädterung und demografischer Wandel, Artensterben und Mobilität – wenn ein einziger Mensch versucht, das alles denkend unter einen Hut zu bekommen und im stillen Kämmerlein eine Lösung zu ertüfteln, schwirrt schnell der Kopf und die Hände sinken in den Schoß.

„Verändern dort, wo ich etwas verändern kann“, dafür plädiert der diplomierte Wirtschaftsinformatiker Norbert Rost in seinem Vortrag über den Klimawandel auf dem JohannstadtForum. Diese Veränderungen können mit dem Kauf eines Joghurts beginnen. Indem wir kaufen, wählen wir. „Es spielt eine Rolle, ob ich mein Geld in ein nachhaltiges System investiere und es damit von einem unnachhaltigen abziehe“, so Norbert Rost. Ergo: Ob ich den plastikverpackten Discounter-Joghurt wähle, für dessen Herstellung auf vielen Routen Lkws gefahren sind, um Rohstoffe und Materialien zu transportieren oder mich für einen Joghurt im Glas aus der Region entscheide, macht einen Unterschied.

Die da oben oder ich?

Einen ebensolchen Unterschied macht es, ob vor meiner Haustür ein Auto zukünftig Platz für fünf Fahrräder macht. Oder für einen Baum, der im Sommer Schatten spendet. Der Bönischplatz ist ein anderer, wenn auf ihm ein Trinkwasserbrunnen sprudelt oder ein Wochenmarkt stattfindet. Mit vielen kleinen Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit könnte die Johannstadt Vorbildfunktion für andere Stadtviertel haben. „Es bringt nichts, jeden Tag in der Zeitung zu lesen wie schlecht die Welt ist und nichts dagegen zu tun“, sagt Norbert Rost. Recht hat er. In dieser Zeit könnte man beispielsweise einen Projektantrag ausfüllen.

Es mag richtig sein, dass ein Hochbeet nicht die Gletscher am Fortschmelzen hindert. Es bringt jedoch wachsende Freude, Austausch, generationsübergreifende Entdeckerfreuden, gemeinschaftlich getragene Sorge. Selbst ein Projekt auf den Weg bringen schafft Kontakte und stiftet Sinn. Und birgt die Chance, andere Menschen davon zu begeistern.

„Je mehr ich in den Klimaschutz investiere, desto wohler fühle ich mich“, führt bei seinem Redebeitrag der 17-jährige Jonny Ehrlich vom Bertold-Brecht-Gymnasium aus, der sich seit einem Jahr bei Fridays for Future engagiert. Im August wurde der Schule der Titel „Klimaschule“ verliehen. Die Bildungsgruppe Nachhaltige Entwicklung (BNE), zu der Jonny gehört, setzt sich dafür ein, dass Klimaschutz aktiv in den Schulalltag integriert wird und zwischen Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern diesbezüglich ein Dialog stattfindet. „Wir können nicht darauf warten, bis die Politik handelt“, sagt Jonny. „Wir müssen es selbst in die Hand nehmen.“

Du hast die Wahl

Neben dem Ausgang steht eine Pappschachtel. Es ist die Wahlurne für die Stimmzettel, mit denen die Anwesenden für ihre Johannstädter Herzensprojekte abstimmen können. Es müssen Zettel nachgedruckt werden, so groß ist die Beteiligung. Am 2. Oktober werden die Ergebnisse bekannt gegeben und ich bin gespannt – denn ich habe teilgenommen.

Ich für meinen Teil radele nach Hause und schaue auf mein Hochbeet. Es ist gemeinsam mit meinen Nachbarn entstanden, die es gießen, wenn ich nicht da bin. Selbst jetzt wuseln noch Bienen auf den Dickschädeln der Sonnenblumen. Es ist immer besser, eine Blume zu pflanzen, als sie nicht zu pflanzen. Oder um es mit Kästner zu sagen: „Es gibt nichts Gutes außer man tut es.“