Kulturtreffpunkt im Gründerzeitviertel der Johannstadt – Willkommen in Johannstadt e.V. bezieht eigene Räume 

eingestellt am 14.10.2021 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Ein neuer Anfang in Räumen mitten im Viertel: Willkommen in Johannstadt ist ab jetzt fest vor Ort im Stadtteil Foto: Anja Hilgert

 

Ein neuer Treffpunkt und Ort für Veranstaltungen hat in der Johannstadt seine Türen geöffnet. Mitten im Wohngebiet der gründerzeitlichen Johannstadt, in einem ehemaligen Ladengeschäft auf der Hertelstraße, hat der Verein Willkommen in Johannstadt e.V. (WIJ) eigene Räumlichkeiten bezogen.
Mit Empfangsbereich, Küche und zwei anliegenden Seminarräumen hat sich der Verein einen ständigen, zentralen Ort für soziales und interkulturelles Engagement geschaffen. Die Angebote und Veranstaltungen nehmen im Oktober Fahrt auf – und alles aus reinem Ehrenamt.

 

Endlich vor Anker im Hafen des Johannstädter Stadtteils

Unter der Devise „Helfen macht Freu(n)de“ organisieren Ehrenamtliche in der Johannstadt seit sechs Jahren lebenspraktische Unterstützung für Menschen, die im Zuge globaler Flüchtlingsströme neu in die Johannstadt und darüber hinaus zugewandert sind.

 

Willkommensinitaitive: Katrin Witte, Marie-Charlotte Lukas und Birgit Roth (v. li n. re)
in Vorbereitung der neuen Räume Fotos: Anja Hilgert

 

Begonnen hat alles Ende 2015, als eine aus Containern bestehende Siedlung von Notunterkünften an der Ecke Fiedlerstraße / Fetscherstraße aufgebaut worden war, die als Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in der Johannstadt dienen sollte. Damals regte sich spontan enorme Hilfsbereitschaft im Stadtteil, um die erwarteten Menschen nach ihrer Flucht mit dem Notwendigsten direkt zu unterstützen. Eine lose Gruppe Johannstädter Bürger*innen rief damals im Johannstädter Kulturtreff zu einem ersten Vernetzungstreffen auf. Alle Beteiligten waren überrascht, als viel mehr Menschen dem Aufruf folgten als der Saal fassen konnte. Aus diesem Impuls gründete sich die Initiative „Willkommen in Johannstadt“, die dann vier Jahre später zum Verein formierte.

Was dann nicht wie geplant kam, war der Bezug der Erstaufnahmeeinrichtung. Aber für die Bürger*innen in der Johannstadt waren sie Anstoß genug, ein selbst organisiertes Netzwerk mit tragfähigen Organisationsstrukturen aufzubauen, um Integration und interkulturelle Nachbarschaftshilfe im Stadtteil zu fördern. 

Freiwillig Engagierte des WIJ e.V. bieten seither auf vielseitige Weise Unterstützung an für Asylsuchende und Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen.
In Form von Sachspenden bis zur Wohnungssuche, über Sprach- und Computerkurse, Übersetzungen, Beratung bei Jobsuche und Behörden-gängen bis zu Hausaufgabenbetreuung und Lernpatenschaften bringen Menschen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ein für Menschen, die mit ihrer Biografie kulturell und gesellschaftlich an einem totalen Neuanfang stehen.

 

Begegnung im erweiterten nachbarschaftlichen Raum : Eva Hesse, Hannes Kettner (WIJ+ KaffeefürAlle), Mario Peisker   Foto: Anja Hilgert

 

Was sich damit verbunden regt, ist mehr als sachliches Angebot und Nachfrage. Auf menschlicher Ebene kommen Geben und Nehmen unmittelbar in Austausch, Freude und Interesse am gegenseitigen Kennenlernen bewegen das Engagement.

 

Vom Nomadentum zum neuen Standort

Durch kontinuierliches Dranbleiben hat WIJ mit über 700 Interessierten und Unterstützer*innen, darunter vielen ehrenamtlich Aktiven ein beachtliches Netzwerk im Bereich der Integrationsarbeit aufgebaut, das niedrigschwellig allen zugänglich ist. 

Clemens Hirschwald, Ehrenamtskoordinator der Stadt Dresden, in dessen Aufgabenbereich es fällt, Initiativen und Vereine zu unterstützen, die sich für Integration engagieren, erkennt im Wirken des Vereins sogar eine ausserordentlich große Leistung: „WIJ zählt zu den Gruppen, bei denen man aufgrund der langfristigen Entwicklungen sehen kann, ‚die bringen was voran’.“ 

Lob und Anerkennung auch von Seiten der Stadt haben nicht lange auf sich warten lassen – WIJ gehört zu den für seine Arbeit bereits mehrfach offiziell gewürdigten Vereinen. Im Oktober 2018 wurde der Verein mit dem mit 5.000 Euro dotierten Dresdner Integrationspreis ausgezeichnet. 

2020 gipfelte die öffentliche Anerkennung noch einmal, als Claus-Peter Reisch, der für sein Engagement in der Seenotrettung den Erich-Kästner-Preis des Dresdner Presseclubs erhalten hatte, sein Preisgeld zwischen den drei vergleichbar arbeitenden Willkommensinitiativen in Johannstadt, Löbtau und Laubegast aufteilte – für WIJ mit einer Aufstockung auf 7.500 €.

 

Clemens Hirschwald im Gespräch mit Katrin Witte beim Eröffnungsfest  auf der Hertelstraße. Foto: Anja Hilgert

 

Hirschwald sieht WIJ als Stadtteilbündnis „gut aufgestellt, seit langer Zeit, sehr nachhaltig. Da ist es wichtig, ein Fundament zu legen, dass die Arbeit sich in den Stadtteil hinein verstetigen kann. Das geht nur, wenn man eigene Räume zur Verfügung hat und man nicht immerzu sehen muss, wo kann man sich hier und dort, von einem Raum zum anderen, mit seinen Angeboten mal einmieten.“

 

Mit kleinen Schritten viel erreichen

Die nomadischen Zeiten, das Aufschlagen mit Deutschkursen, Gesprächen und anderen Angeboten in Räumen anderer Akteure des Stadtteils verlangten den Vereinsmitgliedern viel Flexibilität und Ausdauer ab, vor allem aber Kraft, alle Beteiligten zur richtigen Zeit am richtigen Ort miteinander zu vernetzen. Um diese Vernetzungsarbeit zu stabilisieren, wurde nach weitem Weg 2017 für den Verein eine Koordinationsstelle mit mittlerweile 16 Wochenstunden geschaffen. 

 

 

Marie-Charlotte Lukas zusammen mit Annick Ghaldouni / Wir sind Paten e.V. beim Eröffnungsfest. Foto: Anja Hilgert

 

Diese Position hat seit April 2020 Marie-Charlotte Lukas inne und damit den Hut auf, das ehrenamtliche Engagement in der Johannstadt zielführend zu organisieren. Ihre Freude an den neuen Räumen ist doppelt motiviert: Nach dem Einstieg im reinen Homeoffice kommen die wirklichen Begegnungen mit den Menschen, die die Arbeit des WIJ ausmachen, nun erst richtig zur Geltung: Die Motivation ist hoch, friedliches und offenes Miteinander, gegenseitigen Respekt und Interesse und Neugier für andere Kulturen weiter im Stadtteil zu beleben.

 

Kaffee für alle unterstützt die Feierlichkeiten: Edeltraud Haß im Gespräch, Birgit Roth in der Tür

 

 

Das Kernstück sind die Patenschaften

Aus wenig viel zu machen ist eine Erfahrung, die nachhaltig zum Engagement ermutigt.
Das Kernstück des WIJ bilden die zwischen Zugewanderten und Einheimischen geknüpften Patenschaften. Das unkomplizierte nachbarschaftliche Selbstverständnis, sich gegenseitig mit praktischen Hilfestellungen im alltäglichen Leben zu unterstützen, gab den Impuls, Menschen, die sich gegenseitig etwas geben, miteinander in Kontakt zu bringen.

Im Wesentlichen begründet sich der Einsatz auf Empathievermögen: Menschen in ihren Herausforderungen zu sehen und ihnen eine Hand zu reichen, schafft Raum für echte Begegnungen.

Katrin Witte hat in diese Richtung schon viele Menschen miteinander in Kontakt gebracht. Sie betreut mit viel Geschick und noch mehr Herz die AG Paten-Vermittlung des WIJ: „Die Familien laden zu sich nach Hause ein und es ist immer berührend, zu erleben, wie der erste Kontakt entsteht. Manchmal geht es ganz schnell, dass sich gemeinsame Interessen finden und der Kontakt gleich persönlich wird. Und manchmal braucht es anfangs Geduld um Vertrauen aufzubauen. Auf jeden Fall gewinnen beide Seiten, die eigenen Probleme erscheinen plötzlich klein. Das Wichtigste: neugierig sein.”

Der Verein unterstützt den Beziehungsaufbau und lädt ein zu offenen Picknicks, mit Musik, Spiel und gemeinsamen Ausflügen. Aus manchen unterstützenden Bekanntschaften sind Freundschaften gewachsen.

 

Hakam Jaouni an der kulinarischen Festtafel des Mitbring-Buffets                 Foto: Anja Hilgert

 

Neue Seminar- und Veranstaltungsräume
im WIJ-Büro der Hertelstraße Fotos: WIJ e.V.

 

 

 

 

 

 

 

 

Im werten Wohngebiet der Johannstadt

Direkt auf der Straßenkreuzung zwischen gründerzeitlichen Altbauten gelegen, ist die neue Adresse des Vereins mitten hinein gezogen ins werte Wohngebiet der Johannstadt.
Direkter Kontaktaufnahme steht nichts im Wege. Es geht sogar ein gewisser Brückenschlag aus von dem neuen Standort. 

Das eigentliche Handlungsfeld des Vereins ist dort, wo die zu begleitenden Menschen und Familien leben. Deren Wohnumfeld ist vornehmlich der Bereich der Neubauten von Johannstadt-Nord, besonders zwischen Pfotenhauer und Florian-Geyer-Straße. Auch im Blockbau des sogenannten Wohnhofs leben viele der Neuzugezogenen. Angesichts der hier überdurchschnittlich repräsentierten sozialen, sprachlichen und kulturellen Vielfalt auf engstem Raum finden sich die Mietparteien vor geballten Herausforderungen im Zusammenleben.

 

Blick auf die zum teils bereits fertig sanierten Häuser des Wohnhofes. Foto: Philine Schlick

 

Hausversammlungen im Wohnhof

Ausgehend von der Initiative eines syrischen Bewohners des Wohnhofs entwickelte das Quartiersmanagement Nördliche Johannstadt gemeinsam mit Willkommen in Johannstadt ein stadtweit einzigartiges Einwohner*innen-Pilotprojekt im Wohnhof Pfotenhauerstraße/ Hopfgartenstraße/Elisenstraße. Finanziell gefördert wird das Projekt durch Vonovia und den Stadtbezirksbeirat Altstadt.
Zwei Mitarbeiterinnen von WIJ sind seit Mai diesen Jahres involviert, um Hausversammlungen und die Wahl von Haussprecher*innen zu initiieren und die diversen Mietparteien einzubeziehen in das gemeinschaftlich selbstorganisierte Gestalten der unmittelbaren Wohnumgebung. Aus den gewählten Haussprecher*innen soll sich ein Wohnhofbeirat konstituieren, der dann perspektivisch eigenständig über die Förderung von gemeinwohlorientierten Projekten im Wohnhof, finanziert durch einen Wohnhoffonds, verfügen kann.
Letztlich gilt es, das Zusammenleben vor Ort zu verbessern und dadurch auch die Lebensqualität im Wohngebiet insgesamt zu steigern.

 

Es ist Platz für noch mehr Gäste …. Foto: Bertil Kalex

 

Ehrenamtliche Unterstützung in den Schulen

Für neu ankommende wie für angestammte Familien ist die Schule für ihre Kinder eine wichtige Bezugsadresse. Ehrenamtliche des WIJ unterstützen in der Grundschule Johanna Lehrer und Lehrerinnen direkt im Unterricht, Kinder mit anderen Herkunftssprachen in das deutsche Schulsystem einzuführen und in der gemischten Klasse Deutsch als Zweitsprache (DaZ) zu lehren. In der 101. Oberschule fördern Ehrenamtliche im Anschluss an den Unterricht einmal wöchentlich Schüler*innen in kleinen Gruppen in den Fächern Mathe, Physik, Englisch, Deutsch.Dies soll nun nach der coronabedingten Pause wieder anlaufen und wird teilweise in den neuen Räumen stattfinden.
Darüber hinaus arbeiten Ehrenamtliche als Lernpat*innen in den Familien zuhause, zur Unterstützung eines Kindes bei Hausaufgaben oder bei der Festigung des Lernstoffes in einzelnen Fächern. Für diese wertvolle Arbeit werden stets weitere Bereitwillige gesucht.

 

Was lange währt, wird … richtig gut

Entsprechend steht das Eröffnungsfest der neuen Räume in der Johannstadt für eine dementsprechend große Etappe im Stadtteil bereits geleisteter Arbeit. Am festlichen Auftakt bildet sich mit ab, was durch die Initiative von einigen engagierten Stadtteilbewohner*innen unter den Menschen der Johannstadt ins Leben gekommen ist.

Beim Einzugsfest sammelten sich gesellige Interessierte und Besucher*innen sowohl in den Räumen als auch bis auf die Gehsteige hinaus. Es war ein gut besuchtes Fest, dessen bunte, lockere und wahrnehmbar frohe Ausstrahlung dem Wohngebiet eine schöne Färbung und Belebung verliehen hat.

 

Langfristig und nachhaltig

Mit den Erfahrungen der letzten Jahre sind kostbare Ressourcen entstanden: In erster Linie kompetente, erfahrene Mitstreitende sowie darüber hinaus Allianzen mit ansässigen Vereinen und Institutionen im Stadtteil, wie z.B. zur Johanniskirchgemeinde oder zur Evangelischen Hochschule, die bereitwillig Räume geöffnet haben. Mit dem Orchester Paradiesisch Musizieren arbeitet der Verein seit 2015 gerne zusammen und man unterstützt sich informell.
Kooperationspartner wie u.a. den Johannstädter Kulturtreff e.V., die Internationalen Gärten oder Wir sind Paten e.V. zu haben, bedeutet, Angebote kontinuierlicher und Veranstaltungen breiter aufstellen zu können: Ob Teilnahme beim jüdischen Tanzball, große Yalda-Nacht oder arabischer und persischer Filmabend  – WIJ versteht es, die verschiedenen Kreise miteinander zu verbinden, die dadurch wachsen und sich gegenseitig stärken können.

 

Die Arbeit des WIJ erhält eine erhöhte Reichweite, wie Clemens Hirschwald betont: „Bei diesem Verein kommt hinzu, dass hier die Integrationsarbeit über das normale Maß deutlich hinausgeht. Die Johannstadt hat so viele Patenschaften zu Geflüchteten vermittelt und so viele Projekte auf die Beine gestellt, die in den Stadtteil hinein wirken, zum Beispiel das interkulturelle Senior*innencafé >Baklava und Eierschecke<, die Migrant*innen und Senior*innen zusammenbringt: Hier ist ein enormer Mehrwert, der auch nachhaltig, auf lange Sicht wirkt. Deshalb ist es in Zukunft wichtig, öffentliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen für die vereinsgetragene Stadtteilarbeit“, sagt der Ehrenamtskoordinator der Stadt Dresden und bekräftigt bei seinem Besuch des Eröffnungsfestes: „Wir haben wieder einen Anfang gemacht“, und meint damit die ausstrahlende Wirkung, die von den neuen Räumen ausgehen kann: „Gerne unterstützen wir den Verein auf seinem weiteren Weg, in den Stadtteil hineinzuwirken.“

 

 

Weitere Informationen

Willkommen in Johannstadt e.V.
Hertelstraße 24
01307 Dresden
willkommen-in-johannstadt.de/ueber-uns/

Kontakt für Info und Fragen:
info@willkommen-in-johannstadt.de

Offene Sprechstunde:
Montag 16 – 18 Uhr
Mittwoch 12 – 14 Uhr

Offene Angebote vor Ort:

  • Sprachkurs Deutsch für alle”
    jeden Donnerstag von 19:00 bis 21:00 Uhr
  • Sprachkurs Deutsch für Frauen” mit Kinderbetreuung
    jeden Mittwoch von 09:00 bis 11:00 Uhr
  • Teestube am Mittwoch
    jeden Mittwoch ab 18:00 Uhr
  • Für alle Projekte und Angebote des Vereins werden immer auch neue Mitstreitende gesucht: Aktuelle Lernpat*innen-Gesuchefinden Sie zum Beispiel hier  / Interessierte erhalten weitere Informationen und Unterstützung unter info@willkommen-in-johannstadt.de
  • Auch Sachspenden für die Bildungsangebote sind sehr willkommen – zum Beispiel Kartons, Stifte, Papier (auch größere Formate), Hefte (besonders mit Linien für Schreibanfänger), allgemein Büro- und Bastelmaterial, Laminierfolien, Kinder-Spiele (Karten-, Brettspiele), vielleicht auch Kinderbücher und Laptops für den Computerkurs.
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Sieben Frauen auf dem Weg nach Zafran – Eine Gründungsgeschichte vom Kochen in der Johannstadt

eingestellt am 23.05.2020 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Kostbar köstlich - Von Frauen gemachter Weltküche-Lieferservice in der Johannstadt Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

Sprich einmal, ganz langsam:  zaʿfarān , etwas bedächtiger:  z a ʿ f a r ā n .
Klingt das nicht wie ein Zauberwort, mit wiegender Melodie, und hinterlässt einen hellen Schein? Welche Farbe hat wohl der Klang dieses Wortes?
Die Auflösung des Rätsels, da stimmen viele Sprachen überein, lautet: Gelb!


Gelb ist die Farbe von Zafaran, Zafran, Safran! Ein sinnlicher Name für eine weltbekannte Kostbarkeit: Ein Gewürz aus all den Herkunftsländern, aus denen sieben Frauen stammen, die in der Johannstadt den Weltküche-Lieferservice ZAFRAN Catering gegründet haben. Der Name beschreibt Absicht, Tun und Qualität des Unternehmens ganz vortrefflich: Zafran!

Firmen-Logo in künstlerischer Kaligrafie: Es beginnt mit Z, vereint 3 Herkunftskulturen, besteht aus 3 Blüten-Teilen
Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

Die wichtigste Zutat heißt Geduld

Die Gründungsgeschichte des kleinen Johannstädter Unternehmens hat mit dem Anbau des Safran-Gewürzes viel gemeinsam: Fingerspitzengefühl ist verlangt und Ausdauer, eine Vision, Beständigkeit und Hoffnung. Ähnlich wie die kostbare Krokusblüte, die erstaunlicher Weise in Sachsen sogar wächst*, ist ZAFRAN Catering über mehrere Jahre und Stufen in der Johannstadt gediehen. Viele Menschen waren daran beteiligt, bis im vergangenen September 2019 die Idee der Eigenständigkeit reif war und die neu gegründete Firma aus dem Topf sprang.

Sieben Frauen, unterschiedlichen Alters, verschiedener kultureller und sozialer Herkunft und mit sehr unterschiedlicher beruflicher Vorbildung machen den kleinen Betrieb aus.
Aus Tschetschenien, Syrien, Afghanistan stammen die Frauen. Mit ihren Familien leben sie zum Teil auch in der Johannstadt.

Manche setzen mit ZAFRAN Catering den ersten Schritt in ein eigenes Berufsleben, einige ohne Schulabschluss, andere gehen einen zweiten Weg, nachdem sie für ihren ersten Beruf keine behördliche Anerkennung erhalten haben, für manche ist das Asylverfahren nicht abgeschlossen und der Aufenthaltsstatus fortwährend ungeklärt, andere sind Mitarbeiterinnen mit angemeldetem Nebengewerbe. ZAFRAN Catering ist ein transkulturelles gemeinschaftliches Sozialunternehmen, das aus Eigeninitiative von Frauen mit Flucht- und Migrationserfahrung in der Johannstadt gegründet wurde.

In ihrer Unterschiedlichkeit teilen sie alle miteinander eine über drei Jahre gewachsene, besondere Erfahrung im Bereich der Gastronomie und des Caterings. In dem Bereich wissen alle, was sie können und dass sie es können.

Freude am Essen ist farbenfroh               Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

Tür auf ins Experimentierfeld Küche

Zum Ausprobieren von Neuem ist eine Küche das perfekte Experimentierfeld: Man begibt sich in etwas hinein, das an der Grenze zum Chaos kleinschrittig auf mehreren Ebenen gleichzeitig beherrscht sein will. Nichts bleibt, wie es hineingegeben wurde.

Es ist eine Kunst des Zusammenspiels, dass die Zutaten sich verbinden und neue Farben, Geschmäcker und Konsistenzen entstehen, die am Ende eine Komposition abgeben, von der keiner genau zu sagen weiß, auf welch wundersame Art sie entstanden ist.

Jedes wohlschmeckende Gericht birgt ein alchemistisches Geheimnis. Die Aufmerksamkeit ist bis an jenen Schmelzpunkt zu lenken, wo das Kochen selbst die Führung übernimmt und die einzelnen Köchinnen leidenschaftlich darin aufgehen. ZAFRAN Catering hat darin das Geheimnis seines Erfolgs entdeckt.

Die Frauen bringen das Beste aus ihren Ländern, ihrem Vermögen und ihrer Erfahrung ein und stellen Variationen hochwertiger Speisen her, die alle frisch zubereitet werden. Manty, Wareniki, Jijigh Galnash, Pakora, Bulani – das klingt nicht nur verlockend, sondern ist mit traditionellem Wissen und Hingabe zubereitet.

Das Beste aus aller Frauen Länder

Um Frauen nach den ins Leben einschneidenden Erfahrungen von Flucht und Migration einen Wiederanfang und die positive Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, hat der Ausländerrat Dresden e.V. in Kooperation mit dem Johannstädter Kulturtreff e.V. der Begegnungstreff Café HALVA ins Leben gerufen.

Empowerment wird das genannt und verhilft mit begleitender Unterstützung Menschen dazu, den Punkt ihrer Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Schicksalsmüdigkeit zu überwinden und neue Perspektiven und Spielräume für die eigene Lebensgestaltung zu entdecken. Es handelt sich um einen geschützten Projekt-Rahmen, in dem positive Erfahrungen der eigenen Selbstwirksamkeit heranwachsen können.

Die sieben Frauen haben weite Wege zurückgelegt bis zu ihrer Ankunft in der Johannstadt. Die verschiedenartigen Lebenswege – die an anderer Stelle einmal noch erzählt werden mögen – laufen im Moment des Betretens jenes Küchenraums zusammen.
Es ist der Beginn ihrer gemeinsamen, in safrangelb gemalten Geschichte.

Süßes zum Anfang – Halva

Ins Erdgeschoss des Johannstädter Kulturtreff e.V. zog 2016 der Begegnungstreff Café HALVA ein. Es wird von einer feststehenden Gruppe von Frauen ehrenamtlich betrieben und jeden Donnerstag geöffnet. In liebevoll eingerichteten Räumen lädt das Team von Frauen mit interkulturellen kulinarischen Köstlichkeiten zu Mittagstisch und Kaffeetrinken, zum Verweilen, Plaudern und zu Kontakt und Begegnung ein.

Insgesamt 16 Plätze gibt es in dem Projekt. Frauen erhalten darin die Möglichkeit, über ein verpflichtendes Ehrenamt erste Erfahrungen im Arbeitsleben und der Selbstorganisation sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sammeln. In behördlichen Fragen sowie der beruflichen und familiären Lebensorganisation stehen ihnen Mitarbeiterinnen des Ausländerrat Dresden e.V. und Dolmetscherinnen zur Seite.

Wöchentliches Donnerstags-Angebot, mit Mitarbeiterin Fatemah im Begegnungstreff Café HALVA           Foto: Meike Weid

Kochen führt Leib und Seele zusammen

Die Warteliste zur ehrenamtlichen Mitarbeit im Café HALVA ist lang. Effekte und Erfolge haben sich herum gesprochen: Die Frauen stellen etwas auf die Beine, sie sind Drehpunkt einer Community, erhalten Respekt von ihren Familien und Anerkennung im Viertel. Mehr Frauen wünschen sich diesen Zugang.

Die Kochkünste werden inzwischen auch für andere Stadtteilfeste nachgefragt. Nicht nur mit den reichhaltigen farbenfrohen Buffets, sondern durch die Art ihres Tuns insgesamt stiften die Frauen eine Atmosphäre, die Sinne, Geist und Gemeinschaft nährt.
Das Projekt erfährt einen kräftigen Anklang von Erfolg.

Kostbarkeiten des Café HALVA zu ganz normalen Feierstunden        Foto: Meike Weid

ZAFRAN – Eine Spur von Gelb

Da ist leicht nachvollziehbar, dass bei den Frauen Enttäuschung aufkam darüber, dass aus dem Café HALVA kein berühmtes Restaurant geworden ist. Und auch schwerlich werden kann: Denn die Lage, weit entfernt von Laufkundschaft und in direkter Anbindung ans Kulturzentrum sind eher ungeeignet, professionell eine größere Kundschaft zu erreichen.

Doch so wirkt Empowerment! Im Überschuss aus Leidenschaft, Freude und Inspiration, gepaart mit gewachsenem Selbstbewusstsein und öffentlicher Wertschätzung machten Frauen im Sommer 2019 den Wunsch laut nach mehr Resonanz und deutlichem Erfolg. „Nicht mehr nur im Ehrenamt tätig sein, sondern gescheites Geld verdienen“, benennt Clara von Verschuer, zuständige Mitarbeiterin des Ausländerrat Dresden e.V. die Motivation, „darum geht es den Frauen. Für alle, die im Projekt so lange aktiv waren, ist ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden, das stark macht.“

Clara von Verschuer geht diesen nächsten Schritt mit den Frauen. Nach intensiv bewegten Fragen zum neuen Anfang stellen sie im September 2019 auf die Beine, was heute ZAFRAN Catering heißt:

Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

Das Diverse ist die Normalität, die den täglichen Umgang gestaltet

Die Frauen arbeiten im erklärten Miteinander und Aufeinander-Angewiesensein. Ihre Mentorin betont: „Dieses Teambewusstsein soll erhalten bleiben. Die Abläufe funktionieren, Professionalität ist gegeben. Unter den Frauen herrscht bunte Mehrsprachigkeit, im Deutschen verständigen sie sich am Telefon über knappe Sprachnachrichten. Das Diverse ist die Normalität, die den täglichen Umgang gestaltet.“

Herz und Hände kommunizieren das Entscheidende. Die wichtigste Verständigung geht übers Kochen: „ZAFRAN Catering definiert sich aus der Zusammenarbeit, in der aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen verschiedene Speisen zusammengeführt werden, die auch als Einzelgerichte funktionieren“, erläutert Clara von Verschuer das neue Unternehmenskonzept.

Verantwortliche Mitarbeiterinnen von ZAFRAN Catering: Aminat (links) und Roza (rechts). Foto: Clara van Verschuer

Schnelle Geburt – Das Kind von Café HALVA heißt ZAFRAN Catering

Ein eigenes Gewerbe? Dafür muss eine Rechtsform gefunden und eine Betriebsstruktur aufgebaut werden, die dem gleichberechtigten Miteinander aller gerecht wird. Um den Übergang aus dem Ehrenamt in die reguläre Erwerbstätigkeit zu entwickeln, sind moderierende Hilfestellungen und viele amtlich behördliche Schaltstellen nötig. ZAFRAN Catering wird als kleines Sozialunternehmen gegründet, das Partizipation und Prozesse auf Augenhöhe pflegt. Die faire Entlohnung ist ein gewichtiger Baustein im Fundament der Firma.

Es sei eine Menge Eigenverantwortung, die die Frauen unter Beweis stellen, betont Clara von Verschuer. Das positive Rollenverständnis mit familiärer und öffentlicher Anerkennung und eigenem Verdienst steht für gewonnene Stabilität und Aufrichtung.

Doch für diese Frauen sei der Spagat der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ungleich höher: Zahlreiche Behördentermine führten sie außer Haus, auch die Arbeit führe von zuhause weg, was in einer komplexen, sich neu findenden Familiensituation mit meist auf ihre Art auch förderbedürftigen Kindern kein leichtes Unterfangen sei: „Die Frauen haben Selbstbewusstsein entwickelt und sind unglaublich gewachsen. Minijob und eigene Rechnungen zu schreiben ist toll für die eigene Entwicklung, gleichzeitig besteht auf die Dauer natürlich die Notwendigkeit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung“, denkt Clara von Verschuer in Richtung Zukunft.

Handarbeit für den Lieferservice       Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

Urentspannt lautet die Devise

Bunte Häppchen, Runde Happen, Frucht- und Gemüsespieße, Suppen, Salate, Syrisches Ofenhühnchen, Reisgerichte, Teigtaschen, Georgische Walnusspaste mit verschiedenen Gemüse-Pehali, Kuchen, Gebäck…

Gestartet ist das Catering-Unternehmen mit 3-6 Caterings pro Monat: Veranstaltungen von 25 bis 500 Personen, für Feiern und Fachtage, vorwiegend nachgefragt aus den bekannten Kreisen städtischer Institutionen und Initiativen, die in Verbindung mit unserem Thema stehen. Das läuft über Mund zu Mund Werbung.“ Netzwerk und Partnerschaftlichkeit binden das kleine soziale Unternehmen ein. Zwei Küchen stehen zur Verfügung, die nach Bedarf regelmäßig gebucht u angemietet werden können. Es besteht eine Kooperation mit einem Geschirrverleih.

„Urentspannt“, nennt Clara van Verschuer die Grundhaltung der Frauen, die z.T schon so viel erlebt hätten, dass die Betriebsführung der Caterings sie nicht aus der Ruhe bringen könne: „Eine Frau ist bereits in 4 Ländern gewesen, überall wieder geflohen.“ Da sei eine gewisse Gelassenheit dann gegeben als Haltung gegenüber dem Leben.

Weltküche-Menüs frei Haus

Die jüngsten Erfahrungen bestätigen, dass das Konzept aufgeht: Als während des lockdowns gebuchte Veranstaltungen und Bestellungen abgesagt wurden und die Nachfrage eingebrochen ist, zeigte sich, wie anpassungsfähig und flexibel das Siebengestirn von ZAFRAN Catering zu arbeiten vermag.

Zu Dienst mit Kuchen, Torten und Gebäck    Foto: ZAFRAN Catering by Fanny Annighöfer und Saskia Härtwig

„ Jetzt mach’ ich was…“, dachte die geschäftsführende Frau des ZAFRAN Teams und investierte drei lahmgelegte Wochen in Öffentlichkeitsarbeit, wofür vorher keine Zeit da war.
Kurzfristig den Plan umwerfen, neu denken, das scheint ihre Stärke, doch, sagt Clara von Verschuer, „die habe ich genau von diesen Frauen gelernt.“
Jetzt ist eine Webseite da. Privatleute können einfach Kontakt zum Lieferservice aufnehmen per Anruf oder E-Mail.

Eine erfolgreiche Testphase ist gerade abgeschlossen: ZAFRAN Catering lieferte Tagesmenüs an drei Tagen in der Woche zu Menschen nach Hause. Die es ausprobiert haben, sind des Lobes voll: Dreimal köstlich, wird da gerufen.

Für die nächste Phase steht an, erst einmal mit weniger aufwändigem Bestell- und Lieferangebot für Gebäck und Torten weiterzumachen. Clara von Verschuer ist zuversichtlich: „Es wird schon fortlaufend entspannt bei uns bleiben.“

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