Meine Freundschaft zur Johannstadt

eingestellt am 12.11.2023 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Bronzeplastik "Lebensfreude" vor der Grundschule Johanna. Foto: Peter Weidenhagen igeltour Dresden

 

/// Beitrag von Andrea Peisker, gewählte Stadtteilbeirätin in Johannstadt, erschienen im Stadtteilmagazin ZEILE 4 “Freundschaft”, Frühjahr/Sommer 2022 ///

 

Tatsächlich ist mein heutiger Freundeskreis auch mit der Johannstadt verbunden – von vielen Bekanntschaften bis hin zur engsten Freundin. Mehr erzählen möchte ich allerdings über die längste Freundschaft von mir – die zur Johannstadt selbst. Sie hat den größten Teil meines Lebens geprägt.

Begonnen hat sie als lose Bekanntschaft in den 1970er Jahren. Ich kann mich noch gut an einen kleinen Familienausflug erinnern: Extra vom Stadtrand aus hin zum Bönischplatz, um die neu eröffnete kleine Ladenzeile zu bestaunen, die in den Häusern der Vorkriegsbebauung eröffnet wurde und für damalige Verhältnisse auch äusserlich schön gestaltet war.
Mitte der `70er Jahre vertiefte sich meine Bekanntschaft mit der Johannstadt. Mein damaliger Freund, nun schon 44 Jahre mein Ehemann, wohnte im Hochhaus gegenüber der Trinitatiskirche. In meiner Studienzeit war ich hin und wieder im Studentenwohnheim nebenan, weil nicht-Dresdner Kommiliton*innen dort wohnten. Da war mir noch nicht bewusst, dass ich wenige Jahre später in diesen Stadtteil ziehen und mein weiteres Leben hier verbringen würde.

 

drehen sich zu allen Jahreszeiten, die spielenden Kinder der Bronzeplastik “Lebensfreude” vor der Johanna Foto: Peter Weidenhagen igeltour Dresden

Anfangs-Fremdeln beim Erstbezug in den 1970er Jahren

Tatsächlich habe ich anfangs ganz schön gefremdelt mit unserem neuen Domizil. Aufgewachsen war ich in einer Eigenheimsiedlung am Stadtrand. Nun also Johannstadt, Plattenbau: Da schlugen zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits die große Freude über die Neubauwohnung auf der Pfeifferhannsstraße. Den Schlüssel erhielten wir just an dem Tag im September 1981, als ich mit unserer Tochter die Geburtsstation des Diakonissenkrankenhauses verlassen durfte. Für die Wochen der Renovierung kamen wir bei den Eltern meines Mannes auf der Gerokstrasse unter. Den ersehnten Kitaplatz für unseren zweijährigen Sohn erhielten wir praktischerweise direkt neben deren Haus.
Dann kam der Tag des Einzuges und nach der Euphorie auch meine Probleme. Im Babyjahr zu Hause vermisste ich ganz besonders den Garten am Haus. Auch war ich das Alleinsein tagsüber so nicht gewohnt – mein Mann auf Arbeit, unser Sohn in der Kita, die kleine Tochter schlief tagsüber noch viel. In meinem bisherigen Leben war immer jemand zum Reden da gewesen, Familie, Nachbarn. In den ersten Monaten kam ich mir vor wie in „Einzelhaft“.

Zum Glück dauerte dieser Zustand nicht all zu lange und ich fing an, Freundschaft zu schließen mit „meiner“ Johannstadt: Ich genoss den Blick vom Balkon der 6. Etage, u.a. auf die sogenannte „Modrow-Kaufhalle“. Praktisch, denn man konnte diverse Lieferfahrzeuge direkt sichten oder an der Warteschlange vor der Tür erkennen, dass es „etwas Besonderes“ geben musste…

 

Vermessungsarbeiten am Nadirgerät, Neubauten an der Holbeinstraße, 1970, Quelle: Bundesarchiv Zentralbild Häßler

Gelegenheiten in der Nachbarschaft

Bei warmen Temperaturen konnte man die Lebensfreude der mozambiquanischen Mitbewohner miterleben, lautstark zum Ausdruck gebracht auf den Balkonen im Wohnheim an der Ecke zur Florian-Geyer-Strasse.

Nach und nach ergaben sich Gelegenheiten zu einem kleinen Schwatz, z.B. mit einer jungen Frau beim Wäscheaufhängen hinter dem Haus, am Nachmittag auf dem Spielplatz an der Elbe oder mit einer sehr lieben älteren Nachbarin, die schon bald auch mal nach den Kindern schaute.
Es wurde zu einem Ritual der Kinder, den „Räuberweg“ an der Friedhofsmauer zu erobern. Im Gegensatz zum ehemaligen Plattenwerk gibt es diesen noch, aber der wilde Bewuchs ist stark reduziert und bietet kaum mehr Möglichkeiten zum Verstecken.

 

Lehrzeit an der 101.Oberschule

Das „Babyjahr“ ging zu Ende, unsere kleine Tochter auch in die Kita und ich wieder zur Arbeit. Obwohl eine Weisheit besagt ‚Wohne nicht im Schulgebiet, wo du Lehrer bist‘, hat dies bei mir 25 Jahre lang an der 101. Oberschule ganz gut geklappt. Im Kollegiumskreis entstanden neue, mehr oder weniger enge Freundschaften, die zum Teil bis heute fortbestehen.
Mein Arbeitsweg bestand zehn Jahre darin, die Pfotenhauerstrasse zu überqueren. Dann wurde der Weg zur Schule etwas länger. Dafür war/ist die Wohnung auf der Florian-Geyer-Strasse viel größer, der Blick aus deren Fenstern grüner und geradezu idyllisch, wenn ein Dampfer auf der Elbe vorbei schippert oder sich im Dunkeln die Lichter der Neustadt darin spiegeln.

Graugänse an der Elbe mit Blick auf die Johannstadt. Foto: Matthias Kunert

 

 

Und wieder Neubauten

Seit einigen Monaten gibt es einen Wermutstropfen: Nachdem durch den Bau des Altersheimes die Sicht auf das ‚Königsufer‘ weggefallen ist, schränkt nun der weitere Wohnungsneubau die Sicht auf die Elbe weiter ein, aber noch sehen wir sie. Immer inakzeptabler wird allerdings die Parksituation für uns Anwohner.
Auch mag ich nicht daran denken, was baumäßig im Innenhof passieren könnte, wenn der Johannstädter  Kulturtreff einmal umgezogen ist. Sehen wir dann vom Balkon vielleicht keine grüne Oase mehr…? 

Bleiben werden wir wohl trotz allem in unserer mehrfach sanierten „Platte“ der WGJ. Freunde aus Hamburg waren erstaunt, wie gut es sich darin wohnen lässt – zumal sogar der Biergarten fußläufig erreichbar ist. Viele Leute haben uns im Laufe der Zeit schon beneidet um unseren Wohnort in der nördlichen Johannstadt, nah am Zentrum, und doch nicht mittendrin!

Auch meine mittlerweile engste Freundin ist nach dem viel zu frühen Tod ihres Mannes vor Jahren vom Dorf  ganz in unsere Nähe gezogen. Zu einer Nachbarin ist im Laufe der Jahre eine enge Vertrautheit entstanden, Schlüsseltausch inbegriffen.
Alle diese Freundschaften gibt man nicht freiwillig auf!

 

 

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///// Da das Fortbestehen der ZEILE weiterhin ungesichert ist und es keine Aussicht auf weitere Hefte des Johannstädter Stadtteilmagazins gibt, werden bis zum Jahresende 2023 Beiträge aus den vergangenen Ausgaben in loser wöchentlicher Folge nun auch online veröffentlicht, im Versuch, aktuell Aufmerksamkeit und evtl. einen Ausweg für die unbestrittene Qualität der Arbeit der Stadtteilredaktion in Johannstadt zu erzeugen. /////

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Fundstück – Scherben aus den Blumensälen

eingestellt am 29.10.2023 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Einen außergewöhnlichen, rührenden Fund machte unser Autor zufällig auf einem seiner Streifzüge durchs Stadtviertel. Foto: G. Hammermüller

 

Oft abseits der Trasse ergeben sich Augenblicke, in denen plötzlich etwas auftaucht, mit dem man nicht rechnen konnte. 
Unter der Rubrik ‘Fundstück’ hielten Schreibende der ZEILE solche Momente des überraschten Innehaltens fest. Einige Schätze der Johannstadt sind dabei geborgen worden. Es sind Geschichten entstanden, die eine Verbindung herstellen mit Erinnertem, Altem und beinahe Vergessenen.
In den Fundamenten des inzwischen zum Stadtteilbild gehörenden 
Aldi-Marktes auf der Ecke Pfotenhauer-/Pfeifferhannsstraße wurde ein spektakulärer Fund gemacht.

 

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Wie ein Gang entlang des Bauzauns
zum archäologischen Abenteuer wurde

Als ich ein kleiner Junge war…und natürlich auch noch später, träumte ich davon, Archäologe zu werden. Z.B. an den Ausgrabungen bei den Pyramiden in fernen Ländern oder auch an markanten Punkten hierzulande. Wie das im Leben sich häufig darstellt, sind bekanntlich viele Träume nur Schäume. Doch manchmal spielt das Schicksal einem zumindest für einen kurzen Moment das Glück zu. 

So sollte es also sein, dass an einer Großbaustelle in meinem oft schon beschriebenen Stadtteil Johannstadt, die Geschichte mir wieder so nahe kam. Natürlich weiß ich (meiner Leidenschaft folgend), was hier früher einmal an Gebäuden stand. Und damit meine ich nicht die Gebäude, welche ich aus der jüngeren Zeit kenne, sondern jene, welche der Krieg davon spülte. Punkte werden überbaut, dann kommt die nächste Zeit und alles wird abgerissen.

Doch je tiefer man die nächste Baugrube aushebt, desto mehr kommen meistens Dinge zum Vorschein, welche wir nur noch aus Überlieferungen oder von Bildern her kennen.

 

Unter Trümmern begraben, doch die Geschichte gibt nichts verloren. Foto: G. Hammermüller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein rostiges Gefäß als Schatzkiste

Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich weder scheue, Menschen anzusprechen und gleich gar nicht, mich vielleicht schmutzig zu machen. So sprach ich also die Bauleute an, da mir am Rand der Absperrung ein gar seltsames Gefäß, welches stark verrostet war, auffiel. Ich schilderte den Bauleuten mein Interessengebiet und es stand nichts im Wege, dass diese es mir aushändigten. Ja nun stand ich da mit meinem Fundstück. Verrostet, zum Teil durch Hitze versengt und mit allerlei Kies „ausgeschmückt“. 

Fürsorglich nahm ich das „corpus delicti“ auseinander. Mehrere Porzellanteller, welche sicher einst darinnen ordentlich übereinander standen, waren zerborsten. Dann brach auch noch ein Stück der rostigen Seitenwand, aber auch das war zu erwarten. Und welch ein Wunder, ich habe meinen Schatz gefunden. Zwei Teilstücke eines Tellers der berühmten „Blumensäle“ in Johannstadt.

 

Die Blumensäle waren bis 1945 eines der elegantesten Restaurants in der Dresdner Johannstadt
Foto: G. Hammermüller

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Links: Ansichtskarte „Tanzpalast Blumensäle. Größter Saal Dresdens“, vor 1913. Rechts: „Hauskapelle Tanzpalast ,Blumensäle‘
Kapellmeister Walter Beil“, nach 1913. Fotos: unbekannt. Aus der Sammlung JohannStadtArchiv

 

 

Glanzvolle Vergangenheit

Es muss, wie ich auf alten Ansichten gesehen habe, ein gigantisches schillerndes Restaurant gewesen sein. Archiviert und konserviert habe ich es mit Bildern von Tag und Fundstätte.

Es ist nur ein Scherbe aus vergangenen Tagen, doch für mich ein Stück Geschichte in der Hand. Der Herr Ernst Binder (E.B.) würde sicher stolz darauf sein. Die „Blumensäle“ auf der Blumenstraße in Dresden- Johannstadt. Bis 1945 alles in Schutt und Asche verschwand. Leider. 

 

/// Beitrag von Gerd Hammermüller,
ZEILE 1 “Auf gute Nachbarschaft”, Herbst/Winter 2020, S.29 ///

 

 

 

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