Pflegekräfte fürs kulturelle Erbe – Grabpatenschaften auf dem Trinitatisfriedhof

eingestellt am 29.05.2021 von Anja Hilgert (ZEILE), Headerbild: Geheimnisvoll und unendlich vielfältig - Die Grabkultur auf dem Trinitatisfriedhof Foto: Anja Hilgert

 

Vielen Johannstädter*innen gilt der Trinitatisfriedhof als grüne Oase im dicht bebauten Stadtteil. Hinter den hohen zweihundertjährigen Mauern liegt unbeschreibliche Ruhe, ein Einstieg zur Anderswelt. Diese stille Besonderheit ist in zahlreichen Jahresringen über zwei Jahrhunderte lang gewachsen.
Alte Gräber der Biedermeier-, Gründer- und Jugendstilzeit geben ein reiches Erscheinungsbild. Beseelung von verstorbenen Persönlichkeiten, die das kulturelle, gesellschaftliche, politische und alltägliche Leben der Stadt prägten, schwebt über der Zeit. Von Anfang an waren Bäume als Wegebegrenzung geplant und so bieten alte beschirmende Baumkronen über den heutigen Wegen Schutz und vermitteln dem weitläufigen Gelände Geborgenheit. Es lässt sich gut zur Ruhe kommen hier, auf dem Trinitatisfriedhof. Doch dem Idyll droht der Verfall seiner historischen Grabstätten.

 

Namen in Stein

Aufgrund der künstlerischen Gestaltung zählt der Trinitatisfriedhof zu den stadtgeschichtlich und kulturhistorisch bedeutendsten Friedhöfen Dresdens und ist der fünftgrößte Friedhof der Stadt. Eine Ruhestätte für die Toten, die seinerzeit ausdrücklich zweckmäßig als Begräbnisstätte begründet wurde und weniger dem Ritus oder religiösen Kultus verpflichtet gebaut wurde als vielleicht andere Friedhöfe. Historisch betrachtet, wurde hier mehr weltlich geruht.

Historische Persönlichkeiten aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens haben ihre letzte Ruhestätte auf dem Trinitatisfriedhof gefunden. Viele von ihnen hatten lokale Bedeutung. Ob Pionier der Gasbeleuchtung, Volksliedforscher, Tierbildhauer, Pianistin, Kinderbuchauorin, Sozialökonomin – die Liste starker Persönlichkeiten ist lang und immer handelt es sich um eine Lebens-Geschichte, die auf besondere Art Sinn ergeben und Geltung geschaffen hat.
Die Inschriften auf ihren Grabsteinen lesen sich manchmal wie Anfänge einer Erzählung aus vergangener Zeit.

Berufsbezeichnungen, Gilden, Begriffe, Vornamen, die man heute nicht mehr kennt, Adelstitel, Geheimräte und ehrwürdige Bünde, denen sich Menschen damals verpflichtet und zugehörig fühlten. Vieles beginnt wie „Es war einmal…“. Manche derjenigen, die hier in die Erde gelegt wurden, waren überlandesweit bekannt wie der Mediziner Carl Gustav Carus, einige haben es zu Weltruhm gebracht wie der Maler Caspar David Friedrich – ihre Namen sind verzeichnet geblieben, die Steine halten am Zeugnis fest.

 

Kunstvoll gestaltete Grabstätten auf dem Trinitatisfriedhof Foto: Anja Hilgert
Grabskulptur der Jahrhundertwendezeit. Foto: Anja Hilgert

 

 

 

 

 

 

 

Mindestruhezeit nicht mehr als 20 Jahre

Aber auch die Gräber historischer Persönlichkeiten sind über die allgemeine gesetzliche Mindestruhezeit von meist 20 Jahren hinaus nicht geschützt. Wenn also Nachkommen oder sonstige Nutzungsberechtigte die Liegezeit nicht verlängern, dann werden die Grabstätten nach einer geraumen Zeit aufgelöst und eingeebnet, um sie für eine Neubelegung frei zu machen – oder aber der Friedhofsträger springt ein und übernimmt das Grab in städtisches Eigentum. 

Zu ihrer eigenen Unterstützung versuchen die finanziell randständigen Friedhofsverwaltungen, Nachfahren, Vereine, Institutionen, Firmen sowie Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen, die sich per Patenschaften in die Erhaltung und Pflege dieser Gräber einbringen. 

Auf dem Trinitatisfriedhof fallen aufmerksamen Besucher*innen jene Gräber auf, die das markierende Schild mit dem Patenschaftsgesuch tragen. Der Aufruf findet nicht immer Gehör. Dann nagt der Zahn der Zeit unerbittlich weiter an den Grabmälern: Wind und Wetter, vor allem aber die aggressiven Schadstoffe in der Luft greifen die steinernen Oberflächen an. Zeitzeugnisse verfallen. Manche Friedhofsdenkmale mahnen bereits mit ihrem Verblassen und Verschwinden. Nun hat der Stadtrat Einspruch erhoben.

 

Künstlerisch gestaltete Grabinschriften verlieren ihre Lesbarkeit. Foto: Anja Hilgert

 

Historische Grabpflege knüpft Patenschaften

In den letzten Jahren signalisierten die Friedhofsleitungen vermehrt, dass sie aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Pflege und Instandhaltung dieser Gräber nicht mehr wahrnehmen können.
Gegenwärtig erhalten 236 Grabstätten von historischen Persönlichkeiten auf Dresdner Friedhöfen eine Förderung, um nicht dem Verfall preisgegeben zu sein. Für 132 Gräber erhalten die Friedhofsträger anteilig finanzielle Unterstützung von der Landeshauptstadt Dresden. Der andere Anteil kommt von freiwilliger, privater, ehrenamtlicher Hand: 104 Gräber werden durch Privatpersonen, Stiftungen oder andere Engagierte gepflegt. Diese Einzelnen widmen sich mit ihren privaten Mitteln der Pflege eines je individuellen Bausteins kollektiver Vergangenheit.

 

Aufruf zu engagierter Rettungsaktion Foto: Anja Hilgert

 

 

Stadtgeschichtlicher Wert der Erhaltung

Die Friedhöfe weisen eine Vielzahl von Einzeldenkmalen auf, für die ungewiss ist, wie deren Sicherung gewährleistet werden soll. Häufig handelt es sich um künstlerisch bedeutende Grabmale oder Kleinskulpturen, Bildnisse und Reliefs von kunstgeschichtlichem Wert. 

Solcher Erhalt denkmalgeschützter Raritäten kann aufwändig sein, z.B. wenn fachkundige Restaurierung nötig wird. Aus zwingend gegebenem Anlass werden nun im Haushalt der Landeshauptstadt Dresden 2021/2022 zusätzliche Mittel zum Erhalt der Dresdner Friedhöfe und insbesondere zu Erhalt und Pflege historischer Grabstätten bereitgestellt. 

Die für Friedhöfe zuständige Bürgermeisterin Eva Jähnigen unterstützt den aktuellen Aufruf des Stadtrats: „Für die Landeshauptstadt Dresden sind die historisch bedeutenden Gräber ein Archiv der Stadtgeschichte. Es sind Erinnerungen an Personen, die die Stadt geprägt haben. Die Grabsteine stehen als abschließendes Symbol des weltlichen Daseins und helfen, Ideenreichtum, Mut, Schöpferkraft und Lebensläufe dieser Persönlichkeiten lebendig zu halten.“ 

 

 

Ornamentbänder und Friese in einer Formgebung von Unendlichkeit                   Fotos: Anja Hilgert

Lokalerbe der Johannstadt

Ein allgegenwärtiger Straßenname in der Nördlichen Johannstadt geht z.B. auf eine solche historische Persönlichkeit zurück, deren Grab städtischer Fürsorge untersteht: Der Jurist Friedrich Wilhelm Pfotenhauer (1812 – 1877) war 28 Jahre lang Bürgermeister der Stadt Dresden. Die Hauptverkehrsader in der Nördlichen Johannstadt ist die nach ihm benannte Pfotenhauerstraße. Für das 15 Quadratmeter große Grab auf dem Johannisfriedhof bringt die Landeshauptstadt Dresden derzeit 150 Euro im Jahr auf. 

Das entspricht dem Durchschnittswert, der jährlich pro erhaltenswertem historischen Grab aus dem städtischen Haushalt bereitgestellt wird. Insgesamt sind das etwa 20.000 Euro pro Jahr. Benötigt werden aber mehr als 90.000 Euro, da die tatsächlichen Kosten einer Grabgrundpflege mit diesem Betragseit einigen Jahren nicht mehr gedeckt werden. Allein für eine pflegeleichte Dauerbegrünung liegen die Durchschnittskosten aktuell bei rund 80 Euro brutto pro Quadratmeter und Jahr. Die Stadtverwaltung schlägt vor, jedes historische Grab mit bis zu 400 Euro pro Jahr zu fördern.

 

 

Jede Begräbnisstätte ein individuelles Kunstwerk    Fotos: Anja Hilgert

 

 

 

 

 

 

 

Pflege-Förderung

Zudem soll eine Fachkommission jetzt prüfen, welche historischen Gräber künftig eine Förderung erhalten. Die letzte Aktualisierung der Übersicht über die historischen Gräber erfolgte 1987.
„Die Fachkommission soll bewerten, welche Gräber weiterhin eine geförderte Pflege erhalten sollen. Die Arbeitsergebnisse der Fachkommission werden dann Grundlage für die Fortschreibung der Liste der historischen Gräber sein, über die erneut der Stadtrat entscheiden wird“, beschreibt Jähnigen das weitere Vorgehen. „Neben den Anstrengungen der Stadt, der Friedhofsträger und vieler Freiwilliger ist eine weitere Unterstützung dieser Aufgabe durch die Dresdnerinnen und Dresdner willkommen, um das historische Erbe auf den Dresdner Friedhöfen zu erhalten. Wer Interesse hat, sich um eine dieser historischen Grabstätten zu kümmern, sollte sich an den jeweiligen Friedhof wenden.“

 

Einstweilige Ruhe

Einstweilen ist für Besucher*innen auf dem Trinitatisfriedhof allein der Wind zu hören, der durch die Baumkronen rauscht. Dazu gesellt sich vieltöniges Rufen und Singen unzähliger munterer Vögel, die sich hier ausgesprochen wohl zu fühlen scheinen.
Neben Hasen und Eichhörnchen, oder dem Fuchs und sogar dem Waldkauz, der hier schon gesichtet wurde, sind Menschen nur vereinzelt anzutreffen. Manche kommen zum stillen Zwiegespräch mit jenen, die schon aus diesem Leben gegangen sind. Doch nicht alle kommen her, um ihrer verstorbenen Nächsten zu gedenken. Mache lenken auch nur einen Spaziergang über das friedlich stimmende Gelände und schätzen die Qualität der bloßen Entspannung, die der Friedhof mit sich bringt.

Die Grabpatenschaften tragen ausser zum Kulturerbe des Friedhofs auch bei zur verwunschen wunderbaren Koexistenz lebendiger Bäume mit den uralten Steinen der Toten, die dem Trinitatisfriedhof einen einzigartigen Charme verleihen.

 

Weitere Informationen 

www.dresden.de/friedhof

www.johannisfriedhof-dresden.de/grabpflege/

www.grabpatenschaft-dresden.de/patenschaftsgrab-des-monats/johannstadt-trinitatisfriedhof/