Orte » Die Güntzstraße

eingestellt am 21.02.2020 von Philine Schlick, zuletzt geändert am 08.07.2020

Gastbeitrag von Alexandra Jentsch

Den meisten Dresdnern dürfte der 26er Ring, welcher das erweiterte Dresdener Zentrum umfasst, ein Begriff sein. Weniger bekannt ist die historische Struktur des sogenannten Environringes auf die er zurückgeht. Dieser verband die am Eingang zur Stadt errichteten Schläge und Torhäuser, an denen das Marktgeld erhoben wurde. Der Weg, der die Stadt also einst außerhalb ihrer Tore umrundete, wurde im Laufe der Jahrhunderte von ihr überwuchert und zu einer vielstreifigen Verbindung ausgebaut, deren östlichen Teil heute die Güntzstraße bildet.

Statue: Der Wille des Menschen zum Flug. Foto: Johannes Fischer

Da eine Verbindung ihrem Wesen nach auf ihre Endpunkte ausgerichtet ist, rauscht der Teil dazwischen meist vorbei. Auf dem Weg zum Großen Garten oder in die Neustadt, zur Arbeit oder zum Bahnhof. Ihr funktionaler Straßenraum ist auf Durchlass ausgerichtet, wenig nur hält den Blick, der auf das Ziel gerichtet ist oder nach innen. Doch lässt man sich kurz aufhalten, wird gebremst von einer Straßenbahn oder einer Ampel und schafft es in einem unbeschwerten Moment die Aufmerksamkeit kurz nach außen zu wenden, nach rechts und links zu sehen, wird der Blick dankbar aufgefangen und belohnt, bevor sich die Türen schließen, die Ampel auf Grün umschaltet und man weiter treibt.

Lange Zeit hörte die Güntzstraße, wie der an ihrem Nordende angrenzende Friedhof, auf den Namen des Propheten Elija, bevor sie 1938 der Erinnerung an Justus Friedrich Güntz gewidmet wurde. Der vom Schicksal schwer geprüfte Herausgeber des Dresdner Anzeigers überführte die Einnahmen seiner Zeitung in eine Stiftung, deren Wirkung noch heute, etwa durch das Pflege- und Seniorenheim „Clara Zetkin“ oder die Zwillingbrunnen am Albertplatz sichtbar ist. Hier auf dem östlichen Ring ist sie wenig präsent, sodass die wichtigste Verbindung des Mäzens zu „seiner“ Straße wohl die Familiengruft auf dem Eliasfriedhof ist.

Tradition und Moderne vor der Gläsernen Manufaktur. Foto: Johannes Fischer

Die Straße scheint zu altern, je weiter man nach Norden kommt. Während auf dem mittlerweile zum Denkmal erklärten Friedhof die Zeit seit dem 19. Jahrhundert still steht, streben am Südende, dem Straßburger Platz, moderne, sich gegenseitig reflektierende Glasfassaden empor. Nur die an schwarz-gelben Tagen berstende Sportsbar und die schräg gegenüber mahnende Gedenkstätte für den einstigen Namensgeber des Platzes – Julius Fučík – können sich in ruhigen Nächten noch Geschichten aus der Vorwendezeit erzählen. Mitreden könnte dabei sicher auch das in den 50ern entstandene Berufliche Schulungszentrum für Bau und Technik, an dessen Zugang, vom Grünspan umflossen, der ewig wissende Lehrmeister dem tüchtigen Schüler die Richtung weist.

Statue: Bauarbeiter und Lehrling. Foto: Johannes Fischer

In entgegengesetzter Richtung liegt der sogenannte Güntzpalast, der zur näheren Betrachtung einlädt. Ebenfalls im sachlichen Stil der 50er Jahren erbaut, schmückt die zur Striesener Straße ausgerichtete Hauptfassade ein Fries, dessen hart geschnittene Figuren in mehreren Szenen die Stadtgeschichte nachstellen.

In den Gängen der Akademie. Foto: Johannes Fischer

Die unterschiedlichen Vorhänge in den hohen Fenstern und Erkern bilden ein buntes Mosaik gegen den farblosen Dresdner Winter. Analog zu den emporstrebenden Einwohnern des Studentenwohnheimes schmückt „Der Flugwille des Menschen“ den Vorplatz des Gebäudes, wobei die gen Himmel wirbelnde Brunnenskulptur einige Jahrzehnte auf ihre endgültige Fertigstellung im Jahr 2015 warten musste.

Gelernt wird auch am westlichen Ufer der Straße, wo der Neubau des St. Benno-Gymnasiums seiner 300-jährigen Tradition und dem vergleichsweise unscheinbaren Gegenüber eine preisgekrönte Architektur entgegensetzt, deren Blau selbst im peripheren Sichtfeld der Vorbeirauschenden auffällt.

Vergnügter Engel. Foto: Johannes Fischer

Dass die Straße nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch einer des Schaffens ist, beweist u.a. die Werkstatt des Lebenshilfe e.V. für Menschen mit Behinderungen, wo die Mitarbeiter*innen in geduldiger Fließbandarbeit die kleinen Plasteschächtelchen zusammen falten, welche sich bald mit mundgerecht geschnittenen Fruchtstückchen gefüllt in den Auslagen der Obst- und Gemüsehändler finden.

Auf der Zeitreise gen Norden, stehen jenseits der Holbeinstraße mit dem Bürogebäude der Landesversicherungsanstalt und der Akademie für Kunstgewerbe, welche heute einen Teil der Hochschule für bildende Künste beheimatet, zwei Bauten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nebeneinander.

Brunnen an der Akademie. Foto: Johannes Fischer

Die Reliefs der Fassade der Rentenversicherung blicken mahnend zu ihrem musischen Nachbarn hinüber, der sie im Torbogen über einem Seiteneingang zum Hof als lustiges Gesicht mit einladend aufgerissenem Mund empfängt. Hinter der reich verzierten Fassade mit den schweren Türen liegen ruhige Gänge, deren Wände mit großformatigen Bildern der Student*innen behangen sind.