Gastbeitrag: Was und wo ist Heimat?

eingestellt am 22.04.2022 von Philine Schlick, Headerbild: Mit weiter Sicht über die Johannstadt Foto: S-M.Wiedemann

Der Autor Erhart Neubert lebt in der Johannstadt. Von seiner Wohnung aus betrachtet er das Treiben im Viertel. Seien es der Aufbau der Trinitatiskirche oder das Spielen der Kinder im Hof – der ehemalige Bergmann und Ingenieur betrachtet es mit Tiefgang und Freundlichkeit.

Vor etwa zehn Jahren hörte ich im Rahmen einer Veranstaltung des Sächsischen Heimatvereins einen Vortrag über das Thema “Heimat”, welcher mich zum Nachdenken über meine verschiedenen “Heimaten” anregte.

Graugänse an der Elbe mit Blick auf die Johannstadt. Foto: Matthias Kunert

Heimat Erde

Ist meine Heimat dort, wo ich geboren bin? Wo ich meine Kindheit und Jugend erlebt habe? Wo ich das erste Mal ein Mädchen küsste? Oder war es nicht sie, die mich küsste?

Ist meine Heimat vielleicht auch ein bisschen Zwickau, wo ich lustige Studentenjahre absolvierte? Ist unsere Heimat nicht gar das ganze schöne Sachsenland, welches wir über Jahrzehnte erwandert haben?

Ist Heimat nicht auch unsere wunderschöne Erde, die mehr und mehr in Gefahr gerät, nicht mehr die Heimstatt für Menschen, Tiere und Pflanzen zu sein, die sie war?

Auferstehung der Johannstadt

Seit über fünf Jahrzehnten wohnen wir in Johannstadt. Als wir Mitte 1969 das erste Mal zur Baustelle, heute Gerokstraße 40, fuhren, gab es dort. wo jetzt das Güntz-Areal steht, sogar noch Ruinenreste. Aber vor allem in Richtung Süden und Norden weite Flächen, auf denen nur Unkraut wucherte.

Blick auf die am Donnerstag eröffneten Filialen von Rewe und Rossmann. Foto: Philine Schlick

Jahr für Jahr haben wir die Auferstehung der Johannstadt erlebt und genießen unsere Johannstadt jeden Tag aus Neue. Wir genießen es, durch unsere Heimat Johannstadt zu bummeln. Durch das herrliche Jugendstilareal am Fetscherplatz. Durch die weiter wachsende Johannstadt an der Dürerstraße, der Arnoldstraße und anderen Orten. Unsere Johannstadt verfügt außerdem über eine sehr gut ausgestattete Infrastruktur. Wir haben einfach alles.

Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten aller Art. Von der Grundschule bis zur Universität. Forschungseinrichtungen mit Weltruf. Kurze Wege beim Einkaufen oder zu Ärzten. Außerden haben wir auch einen der schönsten Biergarten Dresdens.

Zusammenleben als Bereicherung

Ein neues schönes Geschenk für uns ist es, die neue Nutzung unserer Trinitatiskirche zu erleben. Dieses intelligent erdachte Gefüge von Erinnerung, Erhaltung und neuem Leben in einer Kirchenruine. Eine richtig gute Idee.

Eine neue Heimat suchen und auch finden, war für mich immer aufregend, interessant und bereichernd. Anders ist es, wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie die verschiedensten Umstände dazu zwingen. Trotzdem haben Menschen aus zahlreichen Nationen auch in Johannstadt eine neue Heimat finden können. Johannstadt ist in den vergangenen Jahrzehnten ein Stück international geworden. Dass dies nicht immer ganz konfliktfrei verläuft, hat natürlich Gründe. Doch das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Nationen ist auch gleichzeitig eine Bereicherung.

Fest des Friedens im Kulturtreff.
Foto: Ralf Menzel

Ich unterhalte mich sehr gern mit Gregory, einem Syrer, der mein Gangnachbar ist. Einem klugen Menschen, der seine Gründe hatte, seine Heimat zu verlassen, um in Johannstadt eine neue Heimat zu finden. Sein vierjähriger Enkelsohn Mirco ist schon ein geborener Johannstädter.

Einen aus Irak stammenden Nachbarn sehe ich seltener. Vor einigen Wochen erzählte er mir, dass er in Johannstadt an der Krebsforschung mitarbeitet. Bleibt er Johannstädter und wird seine Forschung vielleicht Menschen in aller Welt helfen können?

Blick in die Zukunft

Wir schätzen auch das viele Grün in und rund um unsere Johannstadt. Der Blick aus der siebten Etage auf den Dürerpark ist zu jeder Jahreszeit schön. Auf kurzem Weg lohnt sich ein Gang in den Großen Garten, den Waldpark oder auf die Elbwiesen.

Eichbaum im Schnee am Elbufer. Foto: Philine Schlick

Wünsche für die weitere Entwicklung unsrer Johannstadt gibt es natürlich auch. Vielleicht erlebe ich es noch, das auf dem Gelände des ehemaligen Plattenwerkes neues Leben einzieht und das die Gerokstraße eine normal zu befahrende Straße sein wird.

Sommerliche Diebstähle – Warum Frauen Weinblätter klauen

eingestellt am 28.06.2020 von Philine Schlick, Headerbild: Gefüllte Weinblätter machen viel Arbeit und sind in Syrien eine Festtagsspeise. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin

Beitrag von Mohammed Ghith al Haj Hossin

Essen ist Heimat – das weiß niemand besser als Menschen, die ihre Heimat verloren und Sehnsucht haben. Mohammed Ghith al Haj Hossin erklärt in seinem Artikel, warum Weinblatt-Diebinnen nur auf ihren Bauch hören und wie sehr vertraute Speisen durch den Magen bis ins Herz gehen.

In der letzten Woche berichteten deutsche Medien über einen komischen Diebstahl: “Ungewöhnliche Beute in Südhessen: Die Polizei hat in Alsbach Weinblatt-Diebe geschnappt. Das Frauen-Trio hatte massenhaft in Weinbergen die Weinblätter von frei zugänglichen Rebstöcken abgerissen.”

Frische Weinblätter werden für die orientalische Küche in Salzlake konserviert. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin
Frische Weinblätter werden für die orientalische Küche in Salzlake konserviert. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin

Natürlich fragt man sich, worum es geht. Es geht um eine orientalische Spezialität: gefüllte Weinblätter. Auch manche arabische Medien haben es berichtet als lustiges Thema, weil sie indirekt vermuteten, dass es sich bei dem angeklagten Frauen-Trio um Syrerinnen handelt.

Es ist nicht verwunderlich, dass viele deutsche Frauen wurden von ihren syrischen Freundinnen gefragt werden: “Wo können wir frische Weinblätter herbekommen? Oder weißt du irgendwelche Weinberge in der Nähe?”

Ein Koffer voll von Gerüchen und Geschmäckern

Diese Leidenschaft zum Essen hat ihre Grundlage in der Sehnsucht nach allem, was im Herzen steckt. Die Beziehung zwischen Menschen und Essen ist sehr alt und stark verbunden. In diesem Sinne hat es sich durch die Zeiten vom grundlegenden menschlichen Bedürfnis zu einer Kunst entwickelt, die unterschiedliche Gesellschaften bezeichnet.

Der Geruch des Essens bringt manche geflüchtete Menschen zurück zu ihrer Heimat, wo die vermessene Zeiten mit der Familie und Freunde in der Erinnerung bleiben. Jeder hat in seinem Kopf einen Koffer voll von den Gerüchen und Geschmäckern des Essen, die ihn mit seinem Herkunftsort verbinden.

Im Sommer werden die Weinblätter auf Vorrat gepflückt. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin
Im Sommer werden die Weinblätter auf Vorrat gepflückt. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin

Man kann sich nicht von solchen starken Gefühle befreien. Im Gegenteil solche Gefühle verstärken sie sich Jahr für Jahr. Deswegen hängen sich die geflüchtete Menschen, vor allem Frauen an die Kulinarik in zu Hause oder in der Arbeit als Beruf um Geld zu verdienen. Sie versuchen ihre Beziehungen mit der Vergangenheit zu schützen um der Gegenwart zu ertragen.

Die orientalische Spezialität Yaprak

Gefüllte Weinblätter Yaprak ist ein berühmtes orientalisches Essen im Nahen Osten und in der Türkei. Man braucht viel Erfahrung und Tüchtigkeit um es zuzubereiten. Deswegen wird es gekocht zu wichtigen Anlässen für besondere Gäste. Es ist für gewöhnlich am Anfang jedes Sommers, wie in Syrien zum Beispiel, dass viele Frauen frische Weinblätter zu sammeln beginnen, um es im gesalzen Wasser zu lagern.

So es kann bis nächstes Jahr seinen Geschmack halten, ohne Konservierungsstoffe zu benutzen. Es gibt viele Quellen um Weinblätter zu kaufen. Eine ist, sie auf dem Markt der Saison zu kaufen oder die Frauen bekommen sie von ihren eigenen Rebstock oder als Geschenk von den Nachbarn oder Freunden. Oder aber, und das ist das schlimmste, Diebstahl vom Weinberg.

Nicht nur in Syrien, auch in der Türkei ist Yaprak als Speise bekannt. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin
Nicht nur in Syrien, auch in der Türkei ist Yaprak als Speise bekannt. Foto: Mohammed Ghith Al Haj Hossin

Aber hier in Deutschland haben diese Frauen gedacht, dass die letzte Quelle die einzige Quelle ist, ohne sich zu beschäftigen, ob das legal oder nicht. Natürlich muss man die Erlaubnis vom Besitzer haben, sonst gilt es als illegales Verfahren, das bestraft wird. Eine Sache, die das Frauen-Trio nicht gewusst hat, wie ich denke.

Die antike Welt kannte Weinblätter gut. Nicht nur als Lebensmittel sondern auch für die medizinische Nutzung. So spielen sie eine wichtige Rolle in der Mythologie. Zum Beispiel glaubten die alten Griechen an Dionysos als der Gott des Weins, der es zur Welt gebracht hat. In der arabischen Welt wurden die Träume aus Weinblättern als Reichtum und Segen für den Träumer gedeutet. Das ist kein Wunder, wenn wir wissen, welchen Stellenwert Weinblätter im Nahen Osten haben.